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Des Cynics Wörterbuch: Exkurs B

Nach längerer Zeit mal wieder ein Beitrag in dieser Kategorie1

In letzter Zeit häufen sich in der Magdeburger Volksstimme – woanders ist es mir zumindest noch nicht aufgefallen &ndash Bildunterschriften und Dachzeilen, in denen eine im Deutschen wohl unübliche und jedenfalls merkwürdig klingende Struktur verwendet wird. Es handelt sich um den Nominativ ohne Artikel. Diese Struktur ist noch nicht merkwürdig, wenn es sich um ein einzelnes Wort handelt, das da im Nominativ steht: „Dichter Nebel schrieb einen neuen Gedichtband“. Wenn es sich aber um Wortgruppen handelt, wirkt die Konstruktion zunehmend bizarr. Sätze wie „Plastischer Chirurg geht in Ruhestand“ funktionieren noch, aber „Plastischer Chirurg Dr. Peter Müller2 geht in Ruhestand“ gehen irgendwie gar nicht, genausowenig wie „Stellvertretender Bibliotheksleiter Johann Schmitt sagte…“ und so weiter. Ich kann die Motivation hinter dieser Konstruktion auch nicht nachvollziehen. Die erste Vermutung, es seien Platzgründe, zerschlägt sich, denn zumindest beim Chirurgenbeispiel handelt es sich um eine Dachzeile, in der noch genügend Platz für den Artikel „Der“ gewesen wäre. Genauso beim Bibliotheksleiter, wo der Artikel ebenfalls noch Platz im Artikel gefunden hätte.
Es ist auch nicht so, dass dieses stilistische Unglück nur ein Autor benutzen würde, was man noch mit persönlichem Stil erklären könnte,3 sondern es ist vielmehr so, dass sich das Phänomen bei mindestens drei verschiedenen Autoren findet.
Ich habe ja persönlich die Vermutung, dass es ich um eine Übernahme einer stilistischen Wendung handelt, die im Englischen durchaus üblich ist. Dort ist es – auch aufgrund der fehlenden unterschiedlichen Substantivformen in verschiedenen Fällen völlig unproblematisch, ja sogar absolut üblich, vor der Kombination aus Berufsbezeichnung und Name den Artikel wegzulassen. Was dort geht, geht im Deutschen aber eigentlich nicht, da sich mit dem Weglassen des Artikels die Form der Wörter ändert.4 Ich habe diese Konstruktion auch noch in keinem anderen Medium gefunden und kann daher nur hoffen, dass sich das nicht durchsetzt.

Das war’s für heute. Oh Gott, ich klinge schon wie einer dieser „Sprachpfleger“.


  1. Ich glaub, ein 1000-Seiten-Werk wird das Wörterbuch nicht mehr. 

  2. Name vom mangelnden Gedächtnis des Autors geändert 

  3. Wobei ungrammatikalisch sein beim Schreiben eines Zeitungsartikels sich nur schwer mit persönlichem Stil verteidigen lässt, finde ich. 

  4. Vergleiche „Der plastische Chirurg Dr. Peter Müller“ und „Plastischer Chirurg Dr. Peter Müller“ 

Endzeitliche Merkwürdigkeiten

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, häufen sich Rückblicke in allerlei Medien. Da lässt man das Jahr noch mal Paroli laufen, stellt fest, dass alles ganz anders war als gedacht – oder noch schlimmer. Gemeinsam haben diese Rückblicke allerdings, dass in der Regel weder mit dem Jahr, noch mit dem jeweiligen Gesprächspartner sonderlich hart ins Gericht gegangen wird.
Die Magdeburger Volksstimme beteiligt sich an der traditionellen Rückblickeritis, in dem ein Interview mit dem Oberbürgermeister der Stadt geführt wird. Hier darf dann sogar in die Zukunft geblickt werden. Das Interview wird natürlich nicht in einem Teil abgedruckt, sondern auf zwei Ausgaben verteilt. (Es findet sich natürlich nicht online.) Nicht dass die Substanz es hergegeben hätte, aber nujut.

Ich will an dieser Stelle gar nicht darauf eingehen, dass Herr Dr. Trümper im Interview seine Forderung wiederholt, dass es eine Baugenehmigung für die Ulrichskirche erst geben dürfe, wenn die gesamten Baukosten durch Spenden abgedeckt sind. Sich mit einer solchen Haltung auseinanderzusetzen ist dann doch vergebene Liebesmüh. Interessant sind aber zwei andere Aussagen des OB in diesem Zusammenhang.
Auf die Frage, ob eine Debatte zur Schaffung eines urbanen Stadtkerns nicht wichtiger wäre, als die Reduzierung der Debatte auf die Frage „Ulrichskirche, Ja oder Nein“, antwortete das Stadtoberhaupt:

In Magdeburg hat es das eine urbane Zentrum nie gegeben. Die Stadt war schon immer zweigeteilt in das geistliche Zentrum rund um den Dom und das weltliche rund um das Rathaus.

Du liebe Güte, was soll man mit so einer Aussage anfangen? Natürlich gab es in Magdeburg ursprünglich ein Zweiteilung in die Kaufmannssiedlung am heutigen Alten Markt und das geistlich-weltliche Zentrum am Dom mit Bischofssitz etc. Allerdings ist diese Teilung auch aufgrund der räumlichen Nähe der beiden Zentren – Dom und Rathaus trennt nicht einmal ein Kilometer – wohl eher nicht als Teilung in zwei urbane Zentren zu verstehen. Darüber hinaus ist es nicht unwichtig, dass die Stadt Magdeburg bis zum Beginn der Stadterweiterung im 19. Jahrhundert eine außerordentlich kleine Fläche aufwies. In der etwa nördlichen Ausdehnung umfasste das Stadtgebiet etwa 1,6 Kilometer, in Ost-West-Richtung grob geschätzt 0,6 Kilometer. Innerhalb dieser engen Grenzen spielte sich bis zur Stadterweiterung nach 1860 das gesamte urbane Leben ab. Nimmt man eine Bevölkerung von 65.000 an (das entspricht etwa dem Volkszählungsergebnis von 1858), so bekommt man einen Eindruck von der Bevölkerungsdichte in der damaligen Stadt, selbst wenn man die kleine Fläche, die im heutigen Brückfeld besiedelt werden durfte, einmal abzieht. Wie auf dieser Fläche und unter diesen Bedingungen zwei unabhängige urbane Zentren existiert haben sollen, ist mir völlig unklar.
Allerdings schießt Dr. Trümper den Vogel mit einer anderen Aussage ab. Befragt zu seiner Position zum Wiederaufbau der Ulrichskirche (die ja Lesern dieses Blogs hinreichend bekannt sein dürfte), antwortet der OB:

Ich sage klar: In den nächsten 10 bis 15 Jahren sehe ich andere Schwerpunkte in der Stadtentwicklung als den Wiederaufbau der Ulrichskirche.

Gut, ist seine Meinung, kann man so hinnehmen. Aber zwei Fragen später gibt Interviewer Rainer Schweingel dem OB die Möglichkeit, seine Schwerpunkte zu benennen. Die Antwort – haltet euch fest – lautet:

Vorstellbar ist alles, zum Beispiel ein Museum, eine Kunsthalle, etc. Ideen und Wünsche gäbe es viele. Nur: In den nächsten 10 Jahren und vielleicht sogar noch länger werden wir als Stadt so etwas nicht finanzieren können. Ein Privatmann hingegen würde außer in ein neues Kaufhaus an der Stelle1 nicht investieren.

Bitte wie? Also zunächst: Für einen Oberbürgermeister gilt doch nicht der altbekannte Spruch „wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sondern man muss doch gerade in Anbetracht einer angespannten Haushaltssituation kreativ und visionär tätig werden. Und weiter: Ich wusste gar nicht, dass die Privatinitiative, das Kuratorium zum Wiederaufbau der Ulrichskirche, dort ein Kaufhaus bauen will…

Nach ein paar Fragen zur Finanzsituation war dann des Interviews erster Teil schon beendet. Mit Spannung erwartete ich den zweiten Teil nicht, denn ich hatte schon eine Ahnung, wie sich der Oberbürgermeister zum Thema Stadionbau2 äußern würde. Aber nun, wenn Teil 1 schon so klasse war, liest man natürlich auch Teil 2.

Schon die Überschrift des Artikels bestätigte mich in meiner Ahnung. „Heute würde ich mich nicht mehr an die Spitze des Stadionbaus stellen“, wurde der OB zitiert. Kurios, kurios, auf der Ulrichskirchendebatte fiel die Stadionentscheidung nicht in seine Amtszeit, jetzt hat sich Dr. Trümper an die Spitze des Stadionbaus gestellt. Soweit ich mich erinnere, war es sein Vorgänger Dr. Polte, der das Projekt zuerst angeregt und einen Grundsatzbeschluss im Stadtrat erwirkt hatte. Als dann das Projekt zunächst verschoben wurde und dann ganz zu verenden drohte, sammelten Fans des lokalen Fußballvereins 35.000 Unterstützerunterschriften – und die SPD hing im Wahlkampf Plakate mit dem Satz „Neues Stadion nur mit uns“ auf… Das konkrete Bauprojekt in der jetzigen Ausführung und Finanzierungskonzept fällt dann aber doch in Dr. Trümpers Amtszeit. Nunja, nach der Überschrift übersprang ich dann die minder interessanten Themen wie Kita-Gebühren, teurere Nahverkehrstickets und höhere Zoopreise und ging direkt in medias res. Siehe da, es findet sich die Standardfrage, wie man angesichts der steigenden Preise Geld ins Stadion pumpen könne.

Der Stadionbau ist eine Investition in die Zukunft, die nicht unbedingt kurzfristig greift. Die Euphorie im Jahr 2007 hat aber gezeigt, dass der Stadionbau richtig war, sofern auch der sportliche Erfolg stimmt.

Äh, wie jetzt? Warum würde er denn dann nicht nochmal…?
Der Grund, warum Dr. Trümper heute etwas nicht mehr tun würde, was er als richtig ansieht, liegt darin, dass „sich der Stadionbau nur mit dritter, besser noch zweiter Liga und auch nur mit Fußball rechnet.“ Die Stadt müsse 0,9 Millionen Euro pro Jahr für die Refinanzierung aufbringen und es könne nur über den Fußball Entlastung geben.
Das klingt jetzt ja so unbegründet gar nicht, mag man meinen. Komisch nur, dass in der Planungs- und Bauphase stets davon die Rede war, dass man selbstverständlich nicht daran denke, die Refinanzierung allein über den Fußball zu sichern, sondern auch andere Veranstaltungen, wie etwa Konzerte dazu zu nutzen. Entweder Dr. Trümper und seine Verwaltung haben damals Luftschlösser gebaut und geplant, oder aber die Vermarktung des Stadions in Bezug auf besagte Veranstaltungen ist schlicht amateurhaft. Ich tendiere persönlich zu einer Mischung aus beidem, schließlich kenne ich auch persönlich Menschen, die eine Veranstaltung im Stadion durchführen wollten,3 aber aufgrund von, sagen wir, Kontaktschwäche einen anderen Ort wählen mussten.

Insgesamt macht das Interview nicht den Eindruck, dass der Oberbürgermeister noch in der Lage ist, die Stadt voranzubringen. Insbesondere in Bezug auf Haushaltslage und Investitionen scheint eine gewisse Resignation eingetreten zu sein, die nur schädlich sein kann. Ist es generelle Amtsmüdigkeit oder ist es nur eine vorübergehende Jahresenderscheinung? Schwer zu sagen, aber auf die Art kann und darf es nicht weitergehen.


  1. Es geht übrigens um eine sinnvolle Bebauung am Ulrichsplatz. 

  2. Clever, wie die Volksstimme ist, gabs am Ende von Teil 1 den Ausblick auf Teil 2. Neben Stadionbau wurden noch Winterdienst, Kitas und Otto-Kampagne geteasert 

  3. Eine Hochzeit, übrigens 

Sinnlose Debatten und merkbefreite Diskutanten

Es ist ja nie einfach, über Veranstaltungen zu berichten, weil man stets abwägen muss, ob Lob oder Kritik nicht doch überhand nehmen während des Schreibens. Diese Problematik wird dadurch nicht weniger schwierig, wenn man schon mit bestimmten, ja geradezu niedrigen, Erwartungen an eine solche Veranstaltung herangeht. Aber der Reihe nach.

Gestern fand die von der Volksstimme veranstaltete Podiumsdiskussion zum Wiederaufbau der Ulrichskirche statt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Volksstimme im Lauf der Debatte um diesen Bau nicht eben mit Ruhm bekleckert hat – aber da befindet sie sich ja in guter Gesellschaft mit dem Oberbürgermeister, seinem Kulturbeigeordneten und Teilen der Stadtverwaltung.
Die Johanniskirche war gut gefüllt, der Altersschnitt ist schwer zu schätzen, dürfte aber um die 50 Jahre gelegen haben, und die Veranstaltung begann pünktlich. Moderiert von den beiden Lokalredakteuren Rainer Schweingel und Peter Ließmann, entspann sich ein Abend, der wenig neue Erkenntnisse zum Thema brachte, wohl aber zur Geisteshaltung des ein oder anderen Teilnehmer.
Schweingel illustrierte gleich mal alles, was in der Magdeburger Volksstimme falsch läuft, als er – vor einer großen Leinwand mit dem Veranstaltungstitel stehend – die Anwesenden zur Diskussion um die Ulrichkirche begrüßte. Dass man als Lokalredakteur wissen kann, dass es um die Ulrichskirche geht, bewies sein Kollege Ließmann, aber das ist nur eine Nebenbemerkung. Nach der Begrüßung und der Vorstellung der Podiumsteilnehmer, inklusive Eingangsfrage „Den Wiederaufbau der Ulrichskirche finde ich“ (nein, wie originell…und so sinnvoll) gab Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt einen kurzen Überblick zur baugeschichtlichen Situation, allerdings weniger zur Ulrichskirche selbst, sondern vielmehr zum Zentralen Platz. Anhand mehrerer Dokumente stellte er deutlich heraus, dass sowohl der Abriss der Ulrichskirche als auch die Schaffung eines Zentralen Platzes ideologische Gründe hatte – und es mitnichten um die Schaffung von Wohnraum ging, wie ein Leserbriefschreiber neulich behauptet hatte. Ingesamt war dieser Vortrag wohl das Beste am gesamten Abend. Nach Schmidt erhielt dann der Vorsitzende des Fördervereins zum Wiederaufbau der Ulrichskirche, Tobias Köppe, die Gelegenheit kurz sein Projekt vorzustellen. In dieser Präsentation sprach er alle wesentlichen Punkte des Projekts an, von der Geschichte und Bedeutung der Ulrichskirche, über die Finanzierung, die Baugestaltung bis hin zum Nutzungskonzept. Kurz zusammengefasst: Die Ulrichskirche ist das geistige Zentrum der Reformation und hat dadurch touristisches Potential, das aber auch bereits beim Sammeln von Spenden genutzt werden kann. Die Ulrichskirche soll mehrere Nutzungsarten erfahren, zum einen als so genannte Citykirche, in die jeder kommen kann, dann quasi als Reformationsmuseum sowie als Dokumentationszentrum für die zahlreichen (Köppe spricht von 60) in der DDR gesprengten Kirche. Die vierte Nutzung ist gleichzeitig für die Finanzierung des Betriebs wichtig, handelt es sich dabei doch um die Einrichtung eines Kolumbariums in der Krypta der Kirche.

Anschließend begann die so genannte Podiumsdiskussion. Dabei bewies vor allem der Vertreter der Bürgerinitiative für einen Bürgerentscheid über den Wiederaufbau, Josef Fassl, dass er weder in der Lage ist, den anderen Beiträgen zuzuhören und auf sie einzugehen, noch zu verstehen vermag, was genau „30 Millionen Euro private Gelder für die Ulrichskirche“ bedeutet. Nein, Herr Fassl schafft es wiederholt, zu beklagen, dass man das Geld für anderes viel dringender bräuchte – und es sich die Stadt daher nicht leisten könne, die Ulrichskirche aufzubauen. Ihm scheint dabei entgangen zu sein, dass die Stadt das gar nicht soll, sondern dass es sich um ein privat finanziertes Projekt handelt. Den Vogel schoss er allerdings mit einer Äußerung am Ende der Veranstaltung ab, als er behauptete, die Schneise vom Bahnhof zur Elbe (vulgo: der Zentrale Platz) sei geplant worden, um die Frischluftversorgung der Stadt zu sichern – und das nur etwa zwei Stunden nach Jens Schmidts Vortrag…

Zwei andere Diskutanten stachen ebenfalls durch unqualifizierte Äußerungen hervor: Zunächst wäre da der Oberbürgermeister Lutz Trümper zu nennen, dessen Statement „Wo Kirche dran steht, muss auch Kirche rein“ von vielen der Anwesenden mit Applaus bedacht wurde. Die Ironie, einen solchen Satz in der säkularisierten und von der Stadt wieder aufgebauten Johanniskirche zu sagen, ist Trümper zwar nicht entgangen, aber die Johanniskirche habe ja noch gestanden, das sei natürlich etwas völlig anderes. Stimmt – der Wiederaufbau kostete 25 Millionen Mark, von denen 20,2 vom Land als Fördermittel kamen, das neu gebaute Foyergebäude und die neuen Fenster allein kosteten etwa 5 Millionen Mark. Niemand wäre auf die Idee gekommen zu sagen, dass dieser Wiederaufbau ohne eine Gemeinde problematisch wäre – aber bei der Ulrichskirche, zu der die Stadt nichts beisteuern soll außer einer B-Planänderung hält das Stadtoberhaupt die Frage der Gemeinde für zentral. Nunja. Insgesamt vermochte Trümper auch nicht zu erklären, wo er denn die negativen Folgen für die Stadt Magdeburg sieht, sollte die Kirche gebaut werden, allerdings fragte auch niemand explizit danach…
Und dann war da noch der Vorsitzende des Architekten- und Ingenieurvereins Magdeburg, Heinz Karl Prottengeier. In den Medien hatte er zuvor schon den Bau als städtebauliche Katastrophe bezeichnet, und am gestrigen Abend wies er die Zuhörer angesichts dieses Bildes darauf hin, wie groß doch der Baukörper der Ulrichskirche sei, und wie massiv er sich ausnehme. Außerdem seien die Bauten entlang der Reuterallee sowohl als Einzelbauwerke als auch als Ensemble denkmalschützerisch wertvoll, und die gotische Kirche passe schlicht nicht mehr in diese Stadt. Kurios wird diese Argumentation nur, wenn man sich andere Bauten in der Stadt ansieht. Passt die NordLB zum Hundertwasserhaus? Passen beide zum Dom? Passt der Dom zu den Barockgebäuden am Domplatz? Noch kurioser wird es, wenn man sich vor Augen hält, dass Prottengeier nach der Wende für die Innenstadtplanung verantwortlich gewesen ist. Er hat also beispielsweise das City Carré mitzuverantworten. Das ist übrigens das filigrane Gebäude in dem Bild rechts. Oder nehmen wir diese Beschreibung aus dem Handelsblatt: „Wer zum ersten Mal aus dem Magdeburger Bahnhof tritt, prallt gleichsam gegen eine Wand: das City Carré.“1

Kein Wunder also, dass dem Architekten und Stadtplaner Prottengeier der Architekt und Stadtplaner Peters widersprach. Die Magdeburger Innenstadt sei historisch immer sehr dicht bebaut worden, argumentierte der ehemalige Leiter des Stadtplanungsamts. Prottengeiers Meinung, die Kirche passe nicht zur umliegenden Architektur und dem Vorwurf, überhaupt sei der Neubau kein echtes Denkmal und entwerte die tatsächlich historischen Gebäude (das kam von Fassl, wenn ich mich recht erinnere), hielt Peters entgegen, dass es schon immer Variationen in den Baustilen gegeben habe und man andernorts auch kräftig wieder aufgebaut habe, zum Beispiel in der (ach so historischen) Nürnberger Altstadt.
Die blasseste Figur von allen Beteiligten bot leider der Vertreter des Kirchenkreises Magdeburg, was allerdings zum Großteil daran liegt, dass der Kirchenkreis bislang nur eine grundsätzliche Bereitschaft signalisiert hat, was die Nutzung der Ulrichskirche angeht, im Gegensatz zur Altstadtgemeinde, die da deutlich begeisterter ist. Nun ist der Superintendent eben an die Beschlüsse der Gemeinde gebunden und kann daher gar nicht anders, als diese zurückhaltende Politik zu vertreten, selbst wenn er persönlich anders darüber denkt.2

Insgesamt lieferte die Podiumsdiskussion ein enttäuschendes Resultat, wenn man davon ausgegangen ist, dass neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Auch die Fragen aus dem Publikum brachten letztlich nichts neues. Das lag einerseits daran, dass viele Publikumsbeiträge mehr nach dem Motto „es ist alles gesagt, aber nicht von mir“ gestaltet waren, und andererseits auch konkrete Fragen an das Podium teilweise nicht beantwortet wurden. So wich OB Trümper geschickt der Frage aus, warum ein Antrag auf Grabungen am Standort der Ulrichskirche weiter verzögert wird. Leider gab es diesbezüglich auch kein Nachhaken seitens der Moderatoren.
Als Erkenntnis bleibt mir nur die Feststellung, dass die Initiatoren der Bürgerbefragung kein Interesse an einer ernsthaften Diskussion zu haben scheinen. Zumindest ist dies der Eindruck der sich aufdrängt, wenn von Herrn Fassl immer wieder zusammenhanglose Anwürfe und Feststellungen kommen, ohne dass auch nur annähernd darauf eingegangen würde, was die anderen Podiumsteilnehmer gesagt haben. So wurde hinterfragt, ob denn die neue Kirche auch schön werden könnten, nachdem Köppe mehrfach betont hatte, dass die Kirche außen 1:1 nach den Bauplänen errichtet werden würde, die noch zentimetergenau vorhanden seien – und zumindest zum Teil mit Originalmaterial. So gebe es im Magdeburger Zoo einige Gebäude mit Steinen aus der Ulrichskirche und insgesamt seien schon 20 Tonnen Originalsteine geborgen worden.

Letztendlich hat der gestrige Abend gezeigt, dass es nicht gelingen wird, die Gegner umzustimmen. Der Förderverein muss sich also auf die Magdeburger konzentrieren, die noch keine Meinung haben, und diese vielleicht mit Hilfe einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung überzeugen. Es ist ja eigentlich einfach. Da kommt jemand, möchte 30 Millionen Euro investieren, hat ein Nutzungskonzept und ein Unterhaltskonzept, will kein Geld von der Kommune – aber die sagt dennoch erstmal nein, zumindest in Form des Oberbürgermeisters.

Und nun zu meiner Meinung: Grundsätzlich kann Magdeburg mit der Ulrichskirche nur gewinnen. In der geplanten Form zöge sie Touristen in die Stadt, die sonst vielleicht nicht kämen, Baufirmen bekämen Aufträge, denn die 30 Millionen Euro sollen in Magdeburg ausgegeben werden, und die Stadt hätte endlich eine Mitte, bei der man nicht das Gefühl hat, zwischen zwei Einkaufstempeln erstmal die grüne Wildnis durchschreiten zu müssen.
Würde, nachdem die Initiative zum Wiederaufbau nun schon bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, der Bau in der Bürgerbefragung gestoppt, blieben die oben angeführten Effekte unter Garantie aus – und außerdem bliebe höchstwahrscheinlich ein nicht zu unterschätzender Imageschaden. Für die Stadt genauso wie für die Bürgerschaft. Die Bürgerschaft, die ein 30 Millionen Euro schweres Geschenk abgelehnt hat, weil sie lieber Brachflächen hat, als ein urbanes Zentrum.


  1. Quelle 

  2. Doofe Basisdemokratie, was? 😉  

Liebe Volksstimme

Es ist wirklich freundlich von euch, auf eurer Titelseite heute noch einmal, den WM-Modus zu erklären. „Wenn wir heute siegen, dann sind wir im Finale“ heißt es dort.
Ein Meisterwerk. Aber, liebe Volksstimme, warum erst jetzt? Schon zum Gruppenspiel gegen Australien hätte man mit dieser Maßnahme zur Volksbildung beginnen müssen, zum Beispiel „Wenn wir heute siegen, dann haben wir drei Punkte“. Vielleicht bieten sich auch grundsätzlichere Themen für diesen offenbar neuen Zeitungsbereich Volksbildung an – „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“, oder im Hinblick auf die Beschwerden über den WM-Ball „Der Ball ist rund“.

Aber natürlich lässt sich das auch in anderen Bereichen anwenden. „Wenn der Beitrag steigt, wird die Krankenversicherung teurer“ oder „Wenn Wulff gewählt wird, wird er Bundespräsident“ bieten sich im Bereich der Politik an. Im Bereich Wissenschaft bettelt „Wenn die Sonne untergeht, wird es Nacht“ geradezu um Aufmerksamkeit.

Für den Bereich Journalismus kann man ja immer noch „Wenn der Redakteur keine Lust hat, hat er keine Lust“ benutzen.