Wie man eine Stadt vor den Kopf stößt

Sachsen-Anhalt ist ein merkwürdiges Land. Mittlerweile existiert es in seiner zweiten Inkarnation, aber es hat sich etwas entscheidendes verändert.
Von 1946 bis 1952 war die Landeshauptstadt des Landes Halle an der Saale, weil sich das damalige Landesparlament dafür entschieden hatte. Offizielle Begründung waren die starken Zerstörungen der traditionellen Hauptstadt Magdeburg, die daher angeblich nicht in der Lage gewesen wäre, die Funktionen einer Hauptstadt zu erfüllen. Das hat zwar in Sachsen bei der Wahl Dresdens auch niemanden gestört, aber irgendeinen Grund muss es ja geben.

Nun sorgte die damalige Entscheidung natürlich für nachhaltige Verstimmung in Magdeburg. Das löste sich dann mit der Gründung der Bezirke in der DDR mehr oder minder in Wohlgefallen auf, denn dann gab es den Bezirk Halle und den Bezirk Magdeburg, und so waren beide Städte Hauptstädte. Mit dem Ende der DDR kam dann die Neugründung des Landes Sachsen-Anhalts und wieder stand man vor der unseligen Hauptstadtfrage. Dieses Mal entschied sich der in Dessau zusammengetretene Landtag in einer Abstimmung für Magdeburg als Landeshauptstadt. Die Gründe liegen eigentlich auf der Hand: Mit Ausnahme der 6 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war Magdeburg immer die bedeutendere Stadt im heutigen Sachsen-Anhalt. Dieses Mal waren nun aber die Stadtväter1 in Halle verärgert. Aber bald schon suchten sich die Hallenser andere Namen, um den Bedeutungsverlust zu kompensieren. Man nannte sich ab sofort gern Kulturhauptstadt. Nun ist es natürlich schwer, zwei Städte ob ihrer kulturellen Qualität zu vergleichen, zumal ja beide Städte ähnlich alt sind (Magdeburg erste urkundliche Erwähnung datiert von 805, aus dem Diedenhofener Kapitular; Halles erste urkundliche Erwähnung von 1064, schriftlich erwähnt wird die Stadt aber schon 806 in einer Chronik), aber das hält die Hallenser nicht davon ab, sich als führend auf diesem Gebiet zu fühlen und zu verkaufen.

Zu dieser Ansicht trägt seit einigen Jahren auch die Landespolitik ihr Scherflein bei. Zunächst glänzte das Kultusministerium unter der Leitung des Berliners Jan-Hendrik Olbertz mit der Entscheidung, die Lehrerausbildung (Gymnasium) für Sachsen-Anhalt nur noch in Halle an der Martin-Luther-Universität durchführen zu lassen und die Lehrerausbildung in Magdeburg zu schließen. Mittlerweile stellte sich dann heraus, wie kurzsichtig diese Maßnahme war, denn in Sachsen-Anhalt fehlen jährlich 250 Lehrer…
Hatte ich eigentlich erwähnt, dass der Herr Kultusminister Olbertz in Halle studiert, promoviert und habilitiert hat? Und eine Professur hat er dort auch erhalten. Hausberufung nennt man das.

Doch nicht nur in der Ausbildung kann man eine gewisse Bevorzugung der Stadt Halle erkennen, auch wenn es um archäologische Funde geht, wird der Stadt eine Leitfunktion zugesprochen. Zwar befindet sich das so genannte Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle, aber dennoch ist die Konzentration der Funde aus ganz Sachsen-Anhalt eine fragwürdige Strategie – die mitunter kuriose Blüten treibt. So errichtete das Land Sachsen-Anhalt bis 2007 für rund 10 Millionen Euro ein eigenes Museum für die so genannte Himmelsscheibe von Nebra – und stellt dort seither eine Kopie der Himmelsscheibe aus. Das Original bleibt nach wie vor in Halle ausgestellt.

Doch genug der Vorgeschichte, kommen wir zum eigentlichen Anlass dieses Posts. Die Stadt Magdeburg wurde 929 vom damaligen König Otto dem Großen als Morgengabe verschenkt, an Editha, seine Frau. Als Editha 946 starb, wurde sie im ersten Magdeburger Dom beigesetzt. Später wurde auch Otto dort begraben. Nun ist es aber so, dass der damalige Dom 1207 einem Brand zum Opfer fiel, und die Gräber in die ab 1209 neu errichtete Kathedrale verbracht wurden. Jahrelang nahm man an, Editha sei im Dom begraben, wusste aber nicht genau, wo. Allerdings war man sich recht sicher, dass sich die Gebeine nicht in der Editha zugeordneten Scheingrabstätte, einem so genannten Kenotaph befinden. Im Zuge von archäologischen Untersuchungen im Dom, die hauptsächlich auf die Klärung offener Fragen zum Vorgängerbau abzielen und nicht zuletzt aus Anlass des in diesem Jahr anstehenden 800. Jahrestags des Baubeginns der heutigen Kathedrale stattfinden, wurde auch der Kenotaph geöffnet. Zur Freude der Forscher fand sich darin ein Bleisarg, der laut Inschrift die sterblichen Überreste von Editha enthält. Eigentlich könnte dieser Post hier zu Ende sein, aber ich habe ja nicht umsonst in mehreren Absätzen über das Verhältnis der beiden großen Städte in Sachsen-Anhalt hingewiesen.

Denn nachdem der Sarg im November letzten Jahres gefunden wurde, brachte man ihn nach Halle, ins Landesmuseum für Vorgeschichte. Hier befinde sich das bestausgestattete Labor zur Untersuchung des Fundes, heißt es in einem Artikel der „Magdeburger Volksstimme“ von heute. Dies wäre ja noch zu akzeptieren, aber was spricht gegen eine Präsentation des Fundes in Magdeburg? Geht man nach dem Pressesprecher des Landesamts für Archäologie, so gibt es einerseits „konservatorische Gründe“, die dagegen sprechen (Pressemitteilung des Landesamts), aber dem Radiosender mdr 1 Radio Sachsen-Anhalt sagte er, nur in Halle sei die Sicherheit gewährleistet.

Das kann man ruhig noch einmal lesen: Nur in Halle sei die Sicherheit der Gebeine gewährleistet. Dass Editha, 946 im Magdeburger Dom bestattet, dort immer noch lag, war also nur reines Glück. Auch dass die beiden großen Ausstellungen des Magdeburger Kulturhistorischen Museums zum Heiligen Römischen Reich und zu Ritualen der Macht ohne Verlust oder Beschädigung von Ausstellungsgegenständen abliefen, muss wohl reiner Zufall gewesen sein. Hier handelt es sich offenbar um fadenscheinige Argumente, die vom eigentlichen Sachverhalt ablenken sollen: Man benutzt die Kulturgeschichte Magdeburgs, um die Stadt Halle deutschlandweit in die Schlagzeilen zu bringen.

Aber selbst wenn man sich auf die Argumentation, in Halle sei die Untersuchung des Sargs und seines Inhalts besser möglich als in Magdeburg, so bleibt doch eine letzte Frage zu klären: Die Stadt Magdeburg ist Partner der Grabungen im Magdeburger Dom. Warum erfuhren die Vertreter der Stadt erst am 21. Januar von dem Fund, im Gegensatz zu allen anderen Partnern? Wie man es auch dreht und wendet, es bleibt ein Beigeschmack, der die Rivalität zwischen den Städten Magdeburg und Halle sicher nicht gerade verringern wird.

Update: Wie Magdeburgs OB im Radio mitteilte, ist die Stadt Magdeburg auch zur Präsentation eingeladen worden. Allerdings erst Tage, nachdem die Einladung an die Pressevertreter erging (das war am 21. Januar). Die Stadt wird darauf verzichten, nach Halle zu fahren. Und wie der mdr berichtet, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Untersuchungen in Halle nicht mehr in diesem Jahr abgeschlossen werden, Edithas Gebeine also nicht mehr im Jahr des Domjubiläums nach Magdeburg zurückkehren. Ach ja, der Kultusminister war laut mdr über die Vorgänge im Bilde.


  1. muss man heute eigentlich auch Stadtmütter sagen 

4 Antworten zu “Wie man eine Stadt vor den Kopf stößt

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