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Respekt für Literatur

In den letzten Wochen ist viel geschrieben worden über das Vorhaben des Thienemann-Verlags, Begriffe, die heutzutage eher verpönt beziehungsweise nicht mehr verständlich sind, aus Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ zu streichen. Dazu gehören einerseits das Wort „durchgewichst“ für Verhauen, andererseits das deutlich problematischere Wort „Neger“. Neger ist ja auch schon trotz langem Widerstand der Erben aus Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ verschwunden, deren Vater nun Südseekönig statt Negerkönig ist.
Im Zusammenhang mit der kleinen Hexe begründet der Verleger Willberg die Veränderungen – verbunden mit der Ankündigung, dass der Verlag alle seine (Kinderbuch-)Klassiker durchforsten wolle – damit, dass „nur so“ die Bücher zeitlos blieben.

Ich habe große Probleme mit dieser Entscheidung. Zunächst erinnere ich mich noch, dass Ende der Neunziger eine neue Übersetzung von Twains „Huckleberry Finn“ erschien, die Twains Wortwahl erhielt – inklusive „Nigger“. Zwar gibt es auch heute noch englische Ausgaben, die „nigger“ durch „slave“ ersetzen, die aber umstritten sind. Der Respekt vor Literatur und dem Autor gebietet eigentlich, dass man die Wortwahl des Autors beibehält. Twain verwendet diesen Begriff ja beispielsweise, weil er nun einmal in der im Werk beschriebenen Zeit und Örtlichkeit benutzt wurde. Jetzt dieses Wort zu streichen verfälscht das Werk und ist ganz nah an Geschichtsfälschung.

Nun ist dies bei „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ natürlich etwas anders, aber auch hier stellt sich doch die Frage: „Ist ein Kinderbuch ein literarisches Werk oder sind Kinderbücher Literatur zweiten Rangs, für die andere Regeln gelten?“ Tilman Spreckelsen schlägt in der FAZ in dieselbe Kerbe: „Das heißt aber nichts anderes, als Kinder- und Jugendliteratur von vornherein nicht ernst zu nehmen. Man darf sie demnach ohne Skrupel umschreiben, was man selbst bei mäßigen Werken, die sich an Erwachsene richten, nie im Leben täte.“
Eine weitere Frage, die sich stellt, ist doch aber: Was nützt es? Streicht man das Wort „Neger“ aus Kinderbüchern, ergibt sich tendenziell keine Gelegenheit mehr, mit seinem Sohn/seiner Tochter über dieses Wort in einer einigermaßen kontrollierten Umgebung und unter vorhersehbaren Umständen darüber zu reden. Ich denke nicht, dass man so tun muss, als würde den Kinder, die das Wort nicht in Kinderbüchern lesen, dieses Wort nie über den Weg laufen. Ist es nicht besser, über problematische Terminologie zu reden als die Vogel-Strauß-Taktik zu fahren?

Ein anderes Problem ist das der Grenzziehung. So will der Verlag im Fall der Kleinen Hexe eine Faschingsszene umschreiben, in der sich Kinder als „Negerlein“, „Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen“, „Chinesinnen“, als „Menschenfresser“, „Eskimofrauen“ und als „Hottentottenhäuptling“ verkleiden.
Gestrichen werden sollen „Wenigstens die Worte ‚Neger‘, ‚Türken‘ und ‚Chinesinnen'“1… Es wäre mir lieb, wenn jetzt jemand erklären würde, wo bei „Chinesinnen“ das Problem liegt.2
Ich halte es für falsch, Bücher zu verändern und dem Zeitgeist anzupassen, denn bekanntlich ist nichts wechselhafter als der Zeitgeist. Und immerhin ist es so, dass niemand gezwungen werden kann, ein bestimmtes Kinderbuch vorzulesen – wenn man seinem Kind nicht erklären will, was an Begriff xy problematisch ist, sollte man entsprechende Bücher meiden.3

Disclaimer: Der Autor hat ziemlich viele unzensierte Kinderbücher gelesen und sich in der zweiten Klasse zum Fasching auch als Indianer verkleidet. Möglicherweise ist er deswegen nicht in der Lage, diese Probleme zu verstehen.


  1. Siehe obiger FAZ-Artikel 

  2. NB: Ich kenne das Buch nicht und weiß nicht, ob bei den „Chinesinnen“ auch noch weitere Klischeeattribute wie bei den Türken zugeordnet werden. 

  3. Dass Eltern wissen sollten, was in den Büchern steht, die sie ihren Kindern vorlesen, ist klar, oder? 

Nichts verstanden

Letzte Woche Mittwoch gab es die Präsentationspressekonferenz zum Editha-Sarg in Halle. Trotz der unmenschlich frühen Zeit1 war ich auch vor Ort.

Zunächst das Wichtige: Fachlich ist gegen die Öffnung des Sargs wohl kaum etwas zu sagen. Nun bin ich kein Experte für Bleikorrosion, aber nach Ansehen des Sargs und der Powerpoint-Präsentation (übrigens gab’s da auch ähnliche Probleme wie bei manchem Uni-Vortrag: Aussetzer des Beamers, keine Reaktion auf Mausklick) ist die Argumentation, man habe den Bleisarkophag zunächst sichern müssen, für mich nachvollziehbar und glaubhaft. Das gleiche träfe auf die Stoffe zu, in die die Knochen eingewickelt waren. Kommen wir also zum eigentlichen Problem.

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  1. schon um 10 Uhr, entsprechend früh musste man aufstehen… 

Meinungen zu Editha

Gestern schrieb ich einen etwas längeren Bericht zum Thema „Entführung aus dem Serail Grab“. Heute nun haben sich die beiden Zeitungen des Landes Sachsen-Anhalt zu Wort gemeldet. Sowohl mit ausführlichen Berichten, als auch mit Kommentaren.
Nun gibt es ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten, um so eine Situation zu kommentieren. Zunächst kann man das Kind beim Namen nennen und sich mit der Ursache befassen. Oder man beschäftigt sich mit der Gesamtsituation und fokussiert ironiesierend auf die Reaktion. Letzteres läuft dann meistens darauf hinaus, dass sich die verletzte Partei doch bitte nicht so aufregen möchte und im Sinne zukünftiger konstruktiver Zusammenarbeit eben zurücksteckt. Grundsätzlich ist diese Methode positionierungsfrei – man stellt sich auf keine Seite und befasst sich nicht so sehr mit der Ursache, mit dem was Scheiße gelaufen ist.
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Wie man eine Stadt vor den Kopf stößt

Sachsen-Anhalt ist ein merkwürdiges Land. Mittlerweile existiert es in seiner zweiten Inkarnation, aber es hat sich etwas entscheidendes verändert.
Von 1946 bis 1952 war die Landeshauptstadt des Landes Halle an der Saale, weil sich das damalige Landesparlament dafür entschieden hatte. Offizielle Begründung waren die starken Zerstörungen der traditionellen Hauptstadt Magdeburg, die daher angeblich nicht in der Lage gewesen wäre, die Funktionen einer Hauptstadt zu erfüllen. Das hat zwar in Sachsen bei der Wahl Dresdens auch niemanden gestört, aber irgendeinen Grund muss es ja geben.
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