Kategorie-Archiv: Was zum…?

Es wird nicht besser

Im August letzten Jahres schrieb ich ja, dass ich überfordert wäre.

Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Und irgendwie ist das alles nicht besser geworden. Die Olympischen Spiele in Sotschi sind vorbei, man muss sich jetzt also nicht mehr darüber aufregen, dass man die Spiele in ein Land mit derart diskriminierender Gesetzgebung vergeben hat. Hilft ja jetzt nichts mehr.

Die Bundestagswahl ist auch vorbei. Auch da ist es schlimmer geworden. Knapp ist die CDU an der Alleinregierung vorbeigeschrammt. Dafür koaliert man jetzt mit der SPD, die anscheinend auch 2017 nicht den Bundeskanzler stellen möchte. Denn aus einer Koalition mit der CDU ist ja noch keiner gut rausgekommen, stimmt’s, liebe Freunde von der FDP?

In Syrien hat niemand militärisch eingegriffen. Stattdessen werden die syrischen Chemiewaffen unter Aufsicht einer nobelpreisgewinnenden Organisation vernichtet. Also – sie sollen vernichtet werden. Passiert ist da so richtig auch noch nichts. Das passt aber natürlich ins Bild, denn beendet ist der Konflikt ja auch nicht, er findet nur nicht mehr auf Seite Eins statt.

Bei den Freunden von der NSA ist immer noch nicht Schluss mit der Überwachung. Nein, da hat man noch die Überwachung verstärkt. Da man jetzt keine Regierungsoberhäupter befreundeter Staaten überwachen darf,1 überwacht man halt verstärkt die nächstuntere Ebene. Und der GHCQ hat sich davon überraschen lassen, dass die Hälfte aller Webcamchats zwischen nicht vollständig bekleideten Menschen stattfindet. Ach was. Damit konnte ja keiner rechnen!

Hatte ich erwähnt, dass Syrien jetzt keinen mehr interessiert? Tja, so ist das, wenn man die Probleme nicht innerhalb der five minutes of fame2 lösen kann. Dafür hat sich die Ukraine ja jetzt zur Schlagzeilenmaschine entwickelt. Nachdem da lange schon etwas rumorte, gab es in der vergangenen Woche dann endlich die Eskalation, auf die einige schon so lange sehnsüchtig gewartet haben. Präsident weg, Übergangsregierung da, von Moskau nicht anerkannt. Dafür gibt es jetzt Leute in der Ostukraine, die doch eher zu Russland gehören wollen. Und, wenn man einigen Medien glaubt, hängen einige Soldaten der russischen Schwarzmeerflotte gerade am Flughafen von Sewastopol rum. Nur so, versteht sich.

In der eher lokalen oder regionalen Ebene gibt’s dagegen aktuell gar keine großen Aufreger. Zumindest keine neuen. Aber da in meiner heißgeliebten Heimatstadt ja in diesem Jahr der Stadtrat neu gewählt wird3, wird sich da bestimmt einiges Material für zukünftige Erregung finden. Allein die Frage, wen man denn da in den Stadtrat wählen soll, ist schon Anlass genug, um graue Haare zu bekommen.

Ansonsten ist aber alles in bester Ordnung. Homophobie gibt es in Deutschland nicht mehr, Antisemitismus auch nicht, und bestimmt auch ganz bald keinen Neid, keinen Hunger und keine Dummheit mehr.


  1. Das hat der Obama nämlich verboten. Ts. Wie dumm. 

  2. Ja, bei Warhol waren’s noch 15. Aber das war auch vor Facebook, Buzzfeed und Twitter. 

  3. Am gleichen Tag finden auch Europawahlen statt. 

Angst vor der eigenen Courage?

Seit einigen Wochen schlagen die Wellen über die Haushaltspolitik der Landesregierung in Sachsen-Anhalt hoch. Nur die Wellen der Elbe und anderer Flüsse im Land konnten die Debatte in der jüngsten Vergangenheit aus den Schlagzeilen verdrängen. Aber das Hochwasser ist großteils überstanden, und nun steht wieder die Einsparungsdiskussion im Mittelpunkt.
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Der alltägliche Sexismus

Momentan ist die Debatte über den alltäglichen Sexismus in Deutschland ja noch im Gange.

Gestern, am Internationalen Frauentag, spielte der 1. FC Magdeburg beim VFC Plauen. Nach einer deutlichen Führung zur Halbzeit endete das Spiel nur 3 zu 3, nach Berichten von Anwesenden mitverursacht von der Schiedsrichterin.1 Das führte dazu, dass der offizielle Twitteraccount des 1. FC Magdeburg folgenden Tweet absetzte:
fcm-tweet1

Das ist schlicht sexistisch.2 Ich selbst bin kein großer Freund der Genderdebatte, da ich sie zwar für wichtig, in Teilen aber für sehr angestrengt geführt halte. Warum ist eine solche Aussage nun sexistisch?

Machen wir ein Gedankenexperiment. Die Partie gegen Plauen wurde darin nicht von einer Schiedsrichterin, sondern von einem Schiedsrichter geleitet. Der Mann erlaubt sich haarsträubende Fehler. Was würde in der Konsequenz gefordert? Die Forderung würde allerhöchstens doch lauten, dass dieser Schiedsrichter, also dieses Individuum, keine Spiele mehr pfeifen soll. Es würde also eine individuelle, auf die Leistung bezogene Forderung aufgemacht. Niemand würde daraus schließen, „dass Männer nichts…auf dem Fußballplatz zu suchen“ haben.
Ganz anders in diesem Fall, in dem über die schlechte Leistung der Schiedsrichterin, eines Individuums also, und deren Geschlecht der Bogen gespannt wird, um letztlich zu behaupten, die schlechte Leistung eines weiblichen Individuums belege, dass alle weiblichen Individuen schlechte Leistungen erbringen und somit aus dieser Rolle ausgeschlossen werden müssen.

Mir ist bewusst, dass da steht „am Frauentag“, aber ich weiß nicht, inwiefern es das besser oder schlimmer macht. Heißt das nun, dass die Frauen nur am Frauentag nichts auf dem Platz zu suchen haben, und wenn ja, warum sollte das Datum da eine Rolle spielen? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das so zutiefst unangebracht ist – und ich weiß auch nicht, wie eine Schiedsrichterin reagieren würde, wenn man ihr diesen Satz ins Gesicht sagt.
Der in der Volksstimme zitierte Satz von Trainer Petersen „Ich mag Frauen, aber sie haben im Männersport nichts zu suchen und sollen in ihrem Metier bleiben.“ ist nur unwesentlich besser, aber ich unterstelle mal, dass er mit „ihrem Metier“ den Frauenfußball meint, bevor ich mich noch weiter aufrege.

Man kann sicher den Frust über die verlorenen zwei Punkte als Ursache heranziehen, allerdings demonstriert das auch nur, dass es sich hier um eine quasi unterbewusste Form von Sexismus handelt, die eben alltäglich vorhanden ist. Zumeist wird sie gar nicht als Sexismus wahrgenommen, ist es im Kern aber eben doch.

fcm-tweet2

Sorry, aber Ironie kann ich da nicht erkennen. Es sei denn natürlich, man findet es ironisch, dass am Frauentag eine solche Forderung erhoben wird.

Update: Der Trainer des 1. FC Magdeburg hat sich entschuldigt. Siehe Pressemitteilung. Der Tweet steht allerdings immer noch.


  1. Ich war nicht da, aber das spielt keine Rolle. 

  2. Das heißt nicht, dass da hinter diesem Account Sexisten sitzen, sondern bewertet lediglich den Inhalt der Aussage. Es geht um das, was sie getan haben, nicht um das, was sie sind. Letzteres kann ich nicht beurteilen. 

Respekt für Literatur

In den letzten Wochen ist viel geschrieben worden über das Vorhaben des Thienemann-Verlags, Begriffe, die heutzutage eher verpönt beziehungsweise nicht mehr verständlich sind, aus Ottfried Preußlers „Die kleine Hexe“ zu streichen. Dazu gehören einerseits das Wort „durchgewichst“ für Verhauen, andererseits das deutlich problematischere Wort „Neger“. Neger ist ja auch schon trotz langem Widerstand der Erben aus Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ verschwunden, deren Vater nun Südseekönig statt Negerkönig ist.
Im Zusammenhang mit der kleinen Hexe begründet der Verleger Willberg die Veränderungen – verbunden mit der Ankündigung, dass der Verlag alle seine (Kinderbuch-)Klassiker durchforsten wolle – damit, dass „nur so“ die Bücher zeitlos blieben.

Ich habe große Probleme mit dieser Entscheidung. Zunächst erinnere ich mich noch, dass Ende der Neunziger eine neue Übersetzung von Twains „Huckleberry Finn“ erschien, die Twains Wortwahl erhielt – inklusive „Nigger“. Zwar gibt es auch heute noch englische Ausgaben, die „nigger“ durch „slave“ ersetzen, die aber umstritten sind. Der Respekt vor Literatur und dem Autor gebietet eigentlich, dass man die Wortwahl des Autors beibehält. Twain verwendet diesen Begriff ja beispielsweise, weil er nun einmal in der im Werk beschriebenen Zeit und Örtlichkeit benutzt wurde. Jetzt dieses Wort zu streichen verfälscht das Werk und ist ganz nah an Geschichtsfälschung.

Nun ist dies bei „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ natürlich etwas anders, aber auch hier stellt sich doch die Frage: „Ist ein Kinderbuch ein literarisches Werk oder sind Kinderbücher Literatur zweiten Rangs, für die andere Regeln gelten?“ Tilman Spreckelsen schlägt in der FAZ in dieselbe Kerbe: „Das heißt aber nichts anderes, als Kinder- und Jugendliteratur von vornherein nicht ernst zu nehmen. Man darf sie demnach ohne Skrupel umschreiben, was man selbst bei mäßigen Werken, die sich an Erwachsene richten, nie im Leben täte.“
Eine weitere Frage, die sich stellt, ist doch aber: Was nützt es? Streicht man das Wort „Neger“ aus Kinderbüchern, ergibt sich tendenziell keine Gelegenheit mehr, mit seinem Sohn/seiner Tochter über dieses Wort in einer einigermaßen kontrollierten Umgebung und unter vorhersehbaren Umständen darüber zu reden. Ich denke nicht, dass man so tun muss, als würde den Kinder, die das Wort nicht in Kinderbüchern lesen, dieses Wort nie über den Weg laufen. Ist es nicht besser, über problematische Terminologie zu reden als die Vogel-Strauß-Taktik zu fahren?

Ein anderes Problem ist das der Grenzziehung. So will der Verlag im Fall der Kleinen Hexe eine Faschingsszene umschreiben, in der sich Kinder als „Negerlein“, „Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen“, „Chinesinnen“, als „Menschenfresser“, „Eskimofrauen“ und als „Hottentottenhäuptling“ verkleiden.
Gestrichen werden sollen „Wenigstens die Worte ‚Neger‘, ‚Türken‘ und ‚Chinesinnen'“1… Es wäre mir lieb, wenn jetzt jemand erklären würde, wo bei „Chinesinnen“ das Problem liegt.2
Ich halte es für falsch, Bücher zu verändern und dem Zeitgeist anzupassen, denn bekanntlich ist nichts wechselhafter als der Zeitgeist. Und immerhin ist es so, dass niemand gezwungen werden kann, ein bestimmtes Kinderbuch vorzulesen – wenn man seinem Kind nicht erklären will, was an Begriff xy problematisch ist, sollte man entsprechende Bücher meiden.3

Disclaimer: Der Autor hat ziemlich viele unzensierte Kinderbücher gelesen und sich in der zweiten Klasse zum Fasching auch als Indianer verkleidet. Möglicherweise ist er deswegen nicht in der Lage, diese Probleme zu verstehen.


  1. Siehe obiger FAZ-Artikel 

  2. NB: Ich kenne das Buch nicht und weiß nicht, ob bei den „Chinesinnen“ auch noch weitere Klischeeattribute wie bei den Türken zugeordnet werden. 

  3. Dass Eltern wissen sollten, was in den Büchern steht, die sie ihren Kindern vorlesen, ist klar, oder? 

Ach Machdeburch…

Mein Machdeburch, was ist bloß los mit dir?
Oder genauer, was ist los mit deinen Bewohnern?
Nicht nur, dass sich die Bewohner des Mischgebiets Altstadt darüber beschweren, dass es da abends etwas lauter zugeht und so dafür sorgen, dass das Kulturangebot in Magdeburg etwas zurückgeht (nachzulesen hier -pdf-), nein auch Investoren wird gern mal ein oder mehrere Steine in den Weg gelegt.

Aber erläutern wir das etwas genauer. Vor einigen Jahren spielte der 1. FC Magdeburg in einem Ausweichstadion, da ein neues Stadion gebaut und das eigentliche Heimstadion dafür abgerissen wurde. In unmittelbarer Nähe dieses seit 1922 existierenden Stadions befindet sich eine kleine Eigenheimsiedlung. Nun sollte man meinen, dass die Bewohner dieser Siedlung sich auf sportveranstaltungstypischen Lärm einstellen müssten, stand das Stadion schließlich schon, bevor die Häuser gebaut wurden und die Bewohner einzogen… Das hielt zumindest einen Bewohner nicht davon ab, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, die die Lautsprecherdurchsagen im Stadion derart in ihrer Lautstärke einschränkten, dass man gar nichts mehr verstehen konnte. Das hielt zwar nur ein paar Wochen, war aber a) ein Sicherheitsrisiko und b) vermutlich auch ein Verstoß gegen die Auflagen des DFB, der eben solche Systeme vorschreibt, damit wichtige Informationen ans Publikum weitergegeben werden können, insbesondere wenn es zu irgendwelchen Problemen auf den Rängen kommt. Die Anekdote illustriert allerdings den besorgniserregenden Trend, dass in dieser Stadt viele sich selbst die nächsten sind.

Nächstes, etwas anders gelagertes Beispiel: Im Juni 2010 kündigte die Telekom an, bei Magdeburg ein riesiges Rechenzentrum zu errichten und parallel das in Magdeburg bereits existierende als Backup auszubauen. Das rief natürlich die Anwohner auf den Plan. Die Stadt hatte die Flächen in der Nähe des bestehenden Rechenzentrums nämlich als Bauland ausgewiesen. Die jetzigen Anwohner werden sich sicher über die verhältnismäßig günstigen Preise gefreut haben – und sicher haben sie nur übersehen, dass ihre Baugrundstücke an ein Industriegebiet grenzen… In jedem Fall beschwerten sich die Anwohner bitterlich und versuchten die Telekominvestition zu verhindern, angeblich würde durch den Schattenwurf des Gebäudes die Sonnenscheindauer auf ihren Grundstücken eingeschränkt.

Über den abgelehnten Bau der Ullrichskirche wegen Grünflächenerhalt, Schattenwurfvermeidung und Innenstadtbelüftung lege ich an dieser Stelle den Mantel des Schweigens.

Vor einigen Tagen nun gab das Magdeburger Café Central bekannt, dass es keine lauten Veranstaltungen mehr durchführen dürfe, da es Beschwerden aus der Nachbarschaft gegeben hätte und das Ordnungsamt dementsprechend tätig wurde. Unbestritten ist, dass es sich beim Central um eine Schankwirtschaft handelt und nicht um einen Veranstaltungsort. Allerdings ist das Central eben auch eine etablierte, über die Stadtgrenzen bekannte Einrichtung, eben weil dort viele, gute Veranstaltungen stattfinden.
Hier haben wir es wieder mit dem alten Konflikt Nachtruhe vs. Nachtleben zu tun. Hier muss sich die Stadt fragen lassen, warum sie einerseits mit dem vielseitigen Kulturleben am Hasselbachplatz und in dessen Umfeld Werbung für die Stadt macht, es andererseits aber nicht hinbekommt, Bedingungen zu schaffen, in denen ein geregelter regelmäßiger Kulturbetrieb möglich ist, der nicht von einem oder mehreren Anwohnern torpediert werden kann. Natürlich gibt es Vorschriften, an die man sich halten muss – klar muss aber auch sein: Die Innenstadt und insbesondere die Gegend um den Hasselbachplatz sind die zentralen Orte Magdeburger Nacht- und Kneipenlebens. Wer dort hinzieht, muss mit lauteren Wohnbedingungen rechnen als in Domersleben.1 Problematisch ist vor allem die Tatsache, dass es offenbar nicht nötig ist, den Nachweis zu führen, dass eine Veranstaltung tatsächlich zu laut ist, z.B. über eine Lärmmessung, sondern dass es offenbar ausreicht, sich beim Ordnungsamt zu beschweren. Eine leichte Umkehrung der Beweislast zu Ungunsten des Beschuldigten, würde ich sagen.

Kurzes Zwischenfazit: Aber auch hier zeigt sich – ein Teil der Magdeburger, leider ein lautstarker,2 denkt eben zunächst an sich und seins und nicht an die Stadt.

In der heutigen Volksstimme fand sich dann ein Beitrag, der mich zu diesem Blogeintrag…nun, nicht inspiriert, eher schon gezwungen hat. Da hat doch die Stadt tatsächlich Pläne für die Bebauung des ehemaligen SKET-Geländes und zur Sanierung der so genannten Buckauer Insel im Süden der Stadt vorgestellt. Und was soll ich sagen – es gab natürlich Kritik von den Anwohnern. Die Sanierung des Wohngebiets ist aber weniger das Problem, nein, es geht um die Bebauung des SKET-Geländes, also eines Industriegeländes, wo zu DDR-Zeiten einer der größten Betriebe der Stadt seinen Sitz hatte. Das will die Stadt nun als Gewerbe- und Industriegelände ausweisen. Dazu muss aber natürlich auch verkehrstechnisch erschlossen werden – und so entschloss sich die Stadt, den Fermersleber Weg als Zufahrt auszubauen. Dieser sei der kürzeste Weg zum Magdeburger Ring, einer Art Stadtautobahn. Aber ach und je, am Rande des Fermersleber Wegs wohnen natürlich auch Menschen – wenngleich nur wenige, ein Großteil der Straße läuft entlang eines Friedhofs, Sportplatzes und des Universitätsgeländes. Warum will also die Stadt dieses Gelände als Industriegelände ausweisen? Weil es konkretes Interesse eines Maschinenbaubetriebs gibt, sich eben dort anzusiedeln. Zuletzt kommt im Artikel noch der frühere Oberbürgermeister der Stadt, Willi Polte, zu Wort. Er stellt fest, dass man eben Kompromisse schließen müsse, wenn Investoren kommen und Arbeitsplätze schaffen wollen. Und da hat der Mann recht.3

Letztlich kann man nicht immer ein „das geht aber nicht“ entgegen werfen, wenn es um Veränderungen geht. Ein „das geht aber so nicht“ ist ja akzeptabel, öffnet es doch die Möglichkeit des Kompromisses. Davon ist man in der Stadt Magdeburg aber weit entfernt. Und so, liebe Mit-Magdeburger wird das mit der Stadt hier nie was.


  1. no offense 

  2. Oho, welch Ironie 

  3. ™ Kurt Tucholsky 

Das soll Journalismus sein?

Dieser Tage zeigt die ARD jeden Montag eine Sendung namens „Der [hier Firmenname einfügen]-Check“. Darin werden Firmen unter die Lupe genommen und nach vier Kriterien betrachtet, Qualität und Fairness sind auch darunter. Gestern war nun H&M an der Reihe. Und nachdem ich in der letzten Woche beim McDonald’s-Check schon einige Bauchschmerzen1 hatte, hegte ich einige Befürchtungen zur Qualität des Beitrags.
Aber zuerst zu meinen Bauchschmerzen. Das McD nicht das beste Essen der Welt serviert, ist bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass es in mancher Filiale arbeitsrechtlich womöglich bedenklich zugeht. Das thematisierte auch der ARD-Bericht. Da hieß es dann, dass McDonald’s nur etwa ein Fünftel aller Filialen in Deutschland selbst betreibt und der Rest von Franchisenehmern unterhalten wird. Nun hat kaum ein System so viel Potenzial zum Missbrauch anzuregen wie Franchising, aber das soll hier nur eine untergeordnete Rolle spielen. Entscheidend war der nächste Satz. Aus den Franchisefilialen, so der Bericht weiter, kämen nämlich die schlimmsten Beschwerden von Mitarbeitern. Nicht verwunderlich, muss der Franchisenehmer doch neben den normalen Lohn- und Betriebskosten auch die Lizenz bezahlen, was seine Marge schmälert. Warum die ARD bei den dann folgenden arbeitsrechtlichen Beispielen aber nicht aufdeckt, ob es sich um Franchise- oder Konzernfiliale handelt, bleibt ihr Geheimnis.
Der eigentliche Hammer kam aber natürlich erst nach dem Marktcheck, als sich ein Haufen Leute, die mit Otto Normalverbraucher so viel zu tun haben, wie meine Wenigkeit mit Buzz Aldrin, mit dem wie stets unerträglichen Frank Plasberg darüber unterhalten durften, wie schlimm es doch ist, dass sich niemand mehr Zeit nimmt fürs Essen. Ja, da wurde gezetert, das McDonalds in Berlin Filialen gegenüber von Berufsschulen betreibt und die armen Berufsschüler geradezu mit vorgehaltener Waffe zwingt, dort zu essen. Freier Wille? Gibt es nicht.
Auch Pseudo-Promi Peer Kus…Kus…ach, der hier durfte noch darüber philosophieren, dass es doch traurig ist, dass nicht mehr Menschen in sein Restaurant kommen, in dem alles frisch zubereitet wird. Gut, da kann man dann auch nach Kusmagks Aussage 40 Euro pro Person lassen (ohne Getränke, versteht sich), aber das sei ja nicht so wichtig. Bei McDonald’s übrigens kann man zu jedem Gericht eine Kalorienangabe und weitere Daten wie Fettgehalt etc. bekommen.2 Ob das bei Kusmagks auch geht?
Die Runde litt jedenfalls unter gewaltigem Realitätsverlust. Aber es ist natürlich eine Schande, dass (Achtung, ein Beispiel) die alleinerziehende Mutter ihrem Kind nicht noch ein ordentliches Abendessen macht, nachdem sie von ihren zwei Jobs nach Hause kommt…

Soweit zu meinen McDonald’s-Bauchschmerzen. Gestern nun H&M. Nachdem die Urteile in den ersten drei Bereichen (u.a. Qualität) gar nicht so schlecht ausfielen, ging es in den Bereich Fairness. Also auf nach Bangladesh.3 Hier waren die Sendungsmacher ja auch für den Lidl-Test unterwegs, kannten also die Kleidungsfabriken samt zugehöriger Slums bereits.4 Ich will die Zustände in Bangladesh nicht schönreden, die kann man nicht schönreden. Dass da in den Fabriken übelster Manchesterkapitalismus am Werk ist und man die Zustände vermutlich eins zu eins bei Marx findet, scheint nicht abstreitbar.
Aber: Wenn man einen Bericht über H&M in Bangladesh dreht, dann in zwei Fabriken geht, in denen wirklich üble Zustände herrschen (Textilstaub in der Luft, unzureichende Lüftung, keine Atemschutzmasken), dort aber keinen Beleg findet, dass die Fabriken tatsächlich für H&M arbeiten – dann ist das eine Sache. Wenn man dann aber mit keiner Silbe auf die augenscheinlich besseren Zustände eingeht, die in der einzigen Fabrik herrschen, wo man tatsächlich H&M-Produkte findet, dann ist das tendenziös. Kommentarlos auf die Slums und die wirklich schlimmen Lebensbedingungen umzuschneiden, hat mit Ausgewogenheit nichts zu tun, sondern wirkt fast, als stünde das Urteil in diesem Bereich schon vorher fest. Dazu passt, dass es im Fazit heißt, die Arbeitsbedingungen in Bangladesh trübten die Freude an preiswerter Mode.
Hier wurde offenbar geschludert. Entweder die Bilder aus der „H&M“-Fabrik waren schlicht schlecht gewählt, oder man hat es – ob fahrlässig oder absichtlich ist nicht zu klären – unterlassen, sie richtig einzuordnen. So bleibt der fade Beigeschmack der teilweisen Vorverurteilung.
Das ist schade, denn das trübt das Bild einer augenscheinlich mit hohem Aufwand produzierten Sendereihe.

Die ganze Sendung kann sich noch in der ARD-Mediathek ansehen.


  1. Haha, wie lustig. Ein Wortspiel. 

  2. Das macht den Burger zwar nicht gesünder, aber zumindest mangelnde Transparenz kann man dem Unternehmen nicht vorwerfe 

  3. Hier ab etwa 31:30 

  4. Ich hoffe, man war so clever, beide Segmente, Lidl und H&M, auf einer Recherchereise zu drehen. Kost‘ ja alles Geld. 

Hysterie

oder: Was ist eigentlich die „Evangelische Kirche“?

Heute berichtet Spiegel Online unter der Überschrift „Grundanständige Gesinnung“ und der Dachzeile „Evangelische Kirche über Eichmann“, dass die „Evangelische Kirche lobende Worte für Eichmann“ gefunden habe, nachdem der in Argentinien untergetauchte Eichmann in Israel vor ein Gericht gestellt werden sollte.

Ganz subtil wird in Dachzeile und Lead vermieden, „Evangelische Kirche in Deutschland“ zu schreiben. Aber die Wortkette Eichmann, Evangelische Kirche und „Brief an die Bundesregierung“ erweckt natürlich den Eindruck, es handele sich eben um die EKD, die dem Kriegsverbrecher Eichmann da ein Leumundszeugnis ausstellt.
Man muss schon den ganzen, zugegebenermaßen recht kurzen, Text lesen, um zu erkennen, dass es sich bei dem besagten Brief an die Bundesregierung lediglich um einen Brief des Linzer Superintendenten handelt, der da „grundanständige Gesinnung“, „gütiges Herz“ und „große Hilfsbereitschaft“ in einem Brief über Eichmann verwendet und hinzusetzt, es gehe über seine Vorstellungskraft, dass Eichmann „je zu Grausamkeit oder verbrecherischen Handlungen fähig gewesen wäre“.
Es handelt sich aber dabei mitnichten um ein Generalurteil der „Evangelischen Kirche“, sondern wohl eher um ein Schreiben, dass auf Initiative von Eichmanns Geschwistern verfasst wurde – wenn auch von einem in der Organisationshierarchie weit oben angesiedelten Individuum.

Damit man aber die Evangelische Kirche in Deutschland noch mit in dem Artikel unterbringen kann, muss noch erwähnt werden, dass „Bischof Hermann Kunst, Vertreter der EKD bei der Bundesregierung, das Schreiben Mensing-Brauns an das Auswärtige Amt weiter[leitete] – mit dem Hinweis, das Votum sei ‚mindestens interessant‘.“ Das SpOn aus dem bloßen Weiterleiten eines Briefs hier ein Einsetzen für Eichmann von Bischof Kunst herbeiinterpretiert, halte ich doch für fragwürdig. Der Bischof leitete da ein Schreiben zu einer tagesaktuellen Frage an die Regierung der Bundesrepublik weiter, die sich zur Eichmannproblematik irgendwie positionieren musste.1 Leider schreibt SpOn nicht, wann genau dieses Schreiben weitergeleitet wurde, so dass man nicht klar sagen kann, wie weit die Entscheidungsfindung der Bundesregierung hier schon gediehen war. Auch die zugrunde liegende Interpretation der Formulierung „mindestens interessant“ als eine Art Zustimmung zur Einschätzung des Superintendenten ist für mein Verständnis problematisch. Es gibbt wohl kaum ein Wort, dass derart wenig Wertung mitbringt wie das Wort „interessant“, zumal auch noch in einem diplomatischen Zusammenhang.

Interessant ist, dass es dieses Schreiben gibt, und es ist auch als Dokument der Zeitgeschichte sicher wertvoll für Historiker. Um jetzt der Evangelischen Kirche an sich, zumal in Deutschland, eine wie auch immer geartete Nähe zu Eichmannapologeten2, ist es jedoch denkbar ungeeignet. Gerade bei der Beurteilung historischer Dokumente, die mit dem Holocaust zusammenhängen, ist in meinen Augen wesentlich mehr Zurückhaltung geboten, als Spiegel Online hier an den Tag legt.


  1. Eichmann war von einem israelischen Mossadkommando in Argentinien entführt und nach Israel gebracht worden, wo ihm der 1961 der Prozess gemacht wurde. Da es sich bei Eichmann um einen deutschen Staatsbürger handelte und die Mossadaktion auf dem Territorium des souveränen Staats Argentinien stattfand, war die Situation völkerrechtlich zumindest nicht ganz einfach. 

  2. zu denen ich auch nicht zähle