Es ist ja nie einfach, über Veranstaltungen zu berichten, weil man stets abwägen muss, ob Lob oder Kritik nicht doch überhand nehmen während des Schreibens. Diese Problematik wird dadurch nicht weniger schwierig, wenn man schon mit bestimmten, ja geradezu niedrigen, Erwartungen an eine solche Veranstaltung herangeht. Aber der Reihe nach.
Gestern fand die von der Volksstimme veranstaltete Podiumsdiskussion zum Wiederaufbau der Ulrichskirche statt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Volksstimme im Lauf der Debatte um diesen Bau nicht eben mit Ruhm bekleckert hat – aber da befindet sie sich ja in guter Gesellschaft mit dem Oberbürgermeister, seinem Kulturbeigeordneten und Teilen der Stadtverwaltung.
Die Johanniskirche war gut gefüllt, der Altersschnitt ist schwer zu schätzen, dürfte aber um die 50 Jahre gelegen haben, und die Veranstaltung begann pünktlich. Moderiert von den beiden Lokalredakteuren Rainer Schweingel und Peter Ließmann, entspann sich ein Abend, der wenig neue Erkenntnisse zum Thema brachte, wohl aber zur Geisteshaltung des ein oder anderen Teilnehmer.
Schweingel illustrierte gleich mal alles, was in der Magdeburger Volksstimme falsch läuft, als er – vor einer großen Leinwand mit dem Veranstaltungstitel stehend – die Anwesenden zur Diskussion um die Ulrichkirche begrüßte. Dass man als Lokalredakteur wissen kann, dass es um die Ulrichskirche geht, bewies sein Kollege Ließmann, aber das ist nur eine Nebenbemerkung. Nach der Begrüßung und der Vorstellung der Podiumsteilnehmer, inklusive Eingangsfrage „Den Wiederaufbau der Ulrichskirche finde ich“ (nein, wie originell…und so sinnvoll) gab Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt einen kurzen Überblick zur baugeschichtlichen Situation, allerdings weniger zur Ulrichskirche selbst, sondern vielmehr zum Zentralen Platz. Anhand mehrerer Dokumente stellte er deutlich heraus, dass sowohl der Abriss der Ulrichskirche als auch die Schaffung eines Zentralen Platzes ideologische Gründe hatte – und es mitnichten um die Schaffung von Wohnraum ging, wie ein Leserbriefschreiber neulich behauptet hatte. Ingesamt war dieser Vortrag wohl das Beste am gesamten Abend. Nach Schmidt erhielt dann der Vorsitzende des Fördervereins zum Wiederaufbau der Ulrichskirche, Tobias Köppe, die Gelegenheit kurz sein Projekt vorzustellen. In dieser Präsentation sprach er alle wesentlichen Punkte des Projekts an, von der Geschichte und Bedeutung der Ulrichskirche, über die Finanzierung, die Baugestaltung bis hin zum Nutzungskonzept. Kurz zusammengefasst: Die Ulrichskirche ist das geistige Zentrum der Reformation und hat dadurch touristisches Potential, das aber auch bereits beim Sammeln von Spenden genutzt werden kann. Die Ulrichskirche soll mehrere Nutzungsarten erfahren, zum einen als so genannte Citykirche, in die jeder kommen kann, dann quasi als Reformationsmuseum sowie als Dokumentationszentrum für die zahlreichen (Köppe spricht von 60) in der DDR gesprengten Kirche. Die vierte Nutzung ist gleichzeitig für die Finanzierung des Betriebs wichtig, handelt es sich dabei doch um die Einrichtung eines Kolumbariums in der Krypta der Kirche.
Anschließend begann die so genannte Podiumsdiskussion. Dabei bewies vor allem der Vertreter der Bürgerinitiative für einen Bürgerentscheid über den Wiederaufbau, Josef Fassl, dass er weder in der Lage ist, den anderen Beiträgen zuzuhören und auf sie einzugehen, noch zu verstehen vermag, was genau „30 Millionen Euro private Gelder für die Ulrichskirche“ bedeutet. Nein, Herr Fassl schafft es wiederholt, zu beklagen, dass man das Geld für anderes viel dringender bräuchte – und es sich die Stadt daher nicht leisten könne, die Ulrichskirche aufzubauen. Ihm scheint dabei entgangen zu sein, dass die Stadt das gar nicht soll, sondern dass es sich um ein privat finanziertes Projekt handelt. Den Vogel schoss er allerdings mit einer Äußerung am Ende der Veranstaltung ab, als er behauptete, die Schneise vom Bahnhof zur Elbe (vulgo: der Zentrale Platz) sei geplant worden, um die Frischluftversorgung der Stadt zu sichern – und das nur etwa zwei Stunden nach Jens Schmidts Vortrag…
Zwei andere Diskutanten stachen ebenfalls durch unqualifizierte Äußerungen hervor: Zunächst wäre da der Oberbürgermeister Lutz Trümper zu nennen, dessen Statement „Wo Kirche dran steht, muss auch Kirche rein“ von vielen der Anwesenden mit Applaus bedacht wurde. Die Ironie, einen solchen Satz in der säkularisierten und von der Stadt wieder aufgebauten Johanniskirche zu sagen, ist Trümper zwar nicht entgangen, aber die Johanniskirche habe ja noch gestanden, das sei natürlich etwas völlig anderes. Stimmt – der Wiederaufbau kostete 25 Millionen Mark, von denen 20,2 vom Land als Fördermittel kamen, das neu gebaute Foyergebäude und die neuen Fenster allein kosteten etwa 5 Millionen Mark. Niemand wäre auf die Idee gekommen zu sagen, dass dieser Wiederaufbau ohne eine Gemeinde problematisch wäre – aber bei der Ulrichskirche, zu der die Stadt nichts beisteuern soll außer einer B-Planänderung hält das Stadtoberhaupt die Frage der Gemeinde für zentral. Nunja. Insgesamt vermochte Trümper auch nicht zu erklären, wo er denn die negativen Folgen für die Stadt Magdeburg sieht, sollte die Kirche gebaut werden, allerdings fragte auch niemand explizit danach…
Und dann war da noch der Vorsitzende des Architekten- und Ingenieurvereins Magdeburg, Heinz Karl Prottengeier. In den Medien hatte er zuvor schon den Bau als städtebauliche Katastrophe bezeichnet, und am gestrigen Abend wies er die Zuhörer angesichts dieses Bildes darauf hin, wie groß doch der Baukörper der Ulrichskirche sei, und wie massiv er sich ausnehme. Außerdem seien die Bauten entlang der Reuterallee sowohl als Einzelbauwerke als auch als Ensemble denkmalschützerisch wertvoll, und die gotische Kirche passe schlicht nicht mehr in diese Stadt. Kurios wird diese Argumentation nur, wenn man sich andere Bauten in der Stadt ansieht. Passt die NordLB zum Hundertwasserhaus? Passen beide zum Dom? Passt der Dom zu den Barockgebäuden am Domplatz? Noch kurioser wird es, wenn man sich vor Augen hält, dass Prottengeier nach der Wende für die Innenstadtplanung verantwortlich gewesen ist. Er hat also beispielsweise das City Carré mitzuverantworten. Das ist übrigens das filigrane Gebäude in dem Bild rechts. Oder nehmen wir diese Beschreibung aus dem Handelsblatt: „Wer zum ersten Mal aus dem Magdeburger Bahnhof tritt, prallt gleichsam gegen eine Wand: das City Carré.“1
Kein Wunder also, dass dem Architekten und Stadtplaner Prottengeier der Architekt und Stadtplaner Peters widersprach. Die Magdeburger Innenstadt sei historisch immer sehr dicht bebaut worden, argumentierte der ehemalige Leiter des Stadtplanungsamts. Prottengeiers Meinung, die Kirche passe nicht zur umliegenden Architektur und dem Vorwurf, überhaupt sei der Neubau kein echtes Denkmal und entwerte die tatsächlich historischen Gebäude (das kam von Fassl, wenn ich mich recht erinnere), hielt Peters entgegen, dass es schon immer Variationen in den Baustilen gegeben habe und man andernorts auch kräftig wieder aufgebaut habe, zum Beispiel in der (ach so historischen) Nürnberger Altstadt.
Die blasseste Figur von allen Beteiligten bot leider der Vertreter des Kirchenkreises Magdeburg, was allerdings zum Großteil daran liegt, dass der Kirchenkreis bislang nur eine grundsätzliche Bereitschaft signalisiert hat, was die Nutzung der Ulrichskirche angeht, im Gegensatz zur Altstadtgemeinde, die da deutlich begeisterter ist. Nun ist der Superintendent eben an die Beschlüsse der Gemeinde gebunden und kann daher gar nicht anders, als diese zurückhaltende Politik zu vertreten, selbst wenn er persönlich anders darüber denkt.2
Insgesamt lieferte die Podiumsdiskussion ein enttäuschendes Resultat, wenn man davon ausgegangen ist, dass neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten. Auch die Fragen aus dem Publikum brachten letztlich nichts neues. Das lag einerseits daran, dass viele Publikumsbeiträge mehr nach dem Motto „es ist alles gesagt, aber nicht von mir“ gestaltet waren, und andererseits auch konkrete Fragen an das Podium teilweise nicht beantwortet wurden. So wich OB Trümper geschickt der Frage aus, warum ein Antrag auf Grabungen am Standort der Ulrichskirche weiter verzögert wird. Leider gab es diesbezüglich auch kein Nachhaken seitens der Moderatoren.
Als Erkenntnis bleibt mir nur die Feststellung, dass die Initiatoren der Bürgerbefragung kein Interesse an einer ernsthaften Diskussion zu haben scheinen. Zumindest ist dies der Eindruck der sich aufdrängt, wenn von Herrn Fassl immer wieder zusammenhanglose Anwürfe und Feststellungen kommen, ohne dass auch nur annähernd darauf eingegangen würde, was die anderen Podiumsteilnehmer gesagt haben. So wurde hinterfragt, ob denn die neue Kirche auch schön werden könnten, nachdem Köppe mehrfach betont hatte, dass die Kirche außen 1:1 nach den Bauplänen errichtet werden würde, die noch zentimetergenau vorhanden seien – und zumindest zum Teil mit Originalmaterial. So gebe es im Magdeburger Zoo einige Gebäude mit Steinen aus der Ulrichskirche und insgesamt seien schon 20 Tonnen Originalsteine geborgen worden.
Letztendlich hat der gestrige Abend gezeigt, dass es nicht gelingen wird, die Gegner umzustimmen. Der Förderverein muss sich also auf die Magdeburger konzentrieren, die noch keine Meinung haben, und diese vielleicht mit Hilfe einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung überzeugen. Es ist ja eigentlich einfach. Da kommt jemand, möchte 30 Millionen Euro investieren, hat ein Nutzungskonzept und ein Unterhaltskonzept, will kein Geld von der Kommune – aber die sagt dennoch erstmal nein, zumindest in Form des Oberbürgermeisters.
Und nun zu meiner Meinung: Grundsätzlich kann Magdeburg mit der Ulrichskirche nur gewinnen. In der geplanten Form zöge sie Touristen in die Stadt, die sonst vielleicht nicht kämen, Baufirmen bekämen Aufträge, denn die 30 Millionen Euro sollen in Magdeburg ausgegeben werden, und die Stadt hätte endlich eine Mitte, bei der man nicht das Gefühl hat, zwischen zwei Einkaufstempeln erstmal die grüne Wildnis durchschreiten zu müssen.
Würde, nachdem die Initiative zum Wiederaufbau nun schon bundesweit Schlagzeilen gemacht hat, der Bau in der Bürgerbefragung gestoppt, blieben die oben angeführten Effekte unter Garantie aus – und außerdem bliebe höchstwahrscheinlich ein nicht zu unterschätzender Imageschaden. Für die Stadt genauso wie für die Bürgerschaft. Die Bürgerschaft, die ein 30 Millionen Euro schweres Geschenk abgelehnt hat, weil sie lieber Brachflächen hat, als ein urbanes Zentrum.