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Endzeitliche Merkwürdigkeiten

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, häufen sich Rückblicke in allerlei Medien. Da lässt man das Jahr noch mal Paroli laufen, stellt fest, dass alles ganz anders war als gedacht – oder noch schlimmer. Gemeinsam haben diese Rückblicke allerdings, dass in der Regel weder mit dem Jahr, noch mit dem jeweiligen Gesprächspartner sonderlich hart ins Gericht gegangen wird.
Die Magdeburger Volksstimme beteiligt sich an der traditionellen Rückblickeritis, in dem ein Interview mit dem Oberbürgermeister der Stadt geführt wird. Hier darf dann sogar in die Zukunft geblickt werden. Das Interview wird natürlich nicht in einem Teil abgedruckt, sondern auf zwei Ausgaben verteilt. (Es findet sich natürlich nicht online.) Nicht dass die Substanz es hergegeben hätte, aber nujut.

Ich will an dieser Stelle gar nicht darauf eingehen, dass Herr Dr. Trümper im Interview seine Forderung wiederholt, dass es eine Baugenehmigung für die Ulrichskirche erst geben dürfe, wenn die gesamten Baukosten durch Spenden abgedeckt sind. Sich mit einer solchen Haltung auseinanderzusetzen ist dann doch vergebene Liebesmüh. Interessant sind aber zwei andere Aussagen des OB in diesem Zusammenhang.
Auf die Frage, ob eine Debatte zur Schaffung eines urbanen Stadtkerns nicht wichtiger wäre, als die Reduzierung der Debatte auf die Frage „Ulrichskirche, Ja oder Nein“, antwortete das Stadtoberhaupt:

In Magdeburg hat es das eine urbane Zentrum nie gegeben. Die Stadt war schon immer zweigeteilt in das geistliche Zentrum rund um den Dom und das weltliche rund um das Rathaus.

Du liebe Güte, was soll man mit so einer Aussage anfangen? Natürlich gab es in Magdeburg ursprünglich ein Zweiteilung in die Kaufmannssiedlung am heutigen Alten Markt und das geistlich-weltliche Zentrum am Dom mit Bischofssitz etc. Allerdings ist diese Teilung auch aufgrund der räumlichen Nähe der beiden Zentren – Dom und Rathaus trennt nicht einmal ein Kilometer – wohl eher nicht als Teilung in zwei urbane Zentren zu verstehen. Darüber hinaus ist es nicht unwichtig, dass die Stadt Magdeburg bis zum Beginn der Stadterweiterung im 19. Jahrhundert eine außerordentlich kleine Fläche aufwies. In der etwa nördlichen Ausdehnung umfasste das Stadtgebiet etwa 1,6 Kilometer, in Ost-West-Richtung grob geschätzt 0,6 Kilometer. Innerhalb dieser engen Grenzen spielte sich bis zur Stadterweiterung nach 1860 das gesamte urbane Leben ab. Nimmt man eine Bevölkerung von 65.000 an (das entspricht etwa dem Volkszählungsergebnis von 1858), so bekommt man einen Eindruck von der Bevölkerungsdichte in der damaligen Stadt, selbst wenn man die kleine Fläche, die im heutigen Brückfeld besiedelt werden durfte, einmal abzieht. Wie auf dieser Fläche und unter diesen Bedingungen zwei unabhängige urbane Zentren existiert haben sollen, ist mir völlig unklar.
Allerdings schießt Dr. Trümper den Vogel mit einer anderen Aussage ab. Befragt zu seiner Position zum Wiederaufbau der Ulrichskirche (die ja Lesern dieses Blogs hinreichend bekannt sein dürfte), antwortet der OB:

Ich sage klar: In den nächsten 10 bis 15 Jahren sehe ich andere Schwerpunkte in der Stadtentwicklung als den Wiederaufbau der Ulrichskirche.

Gut, ist seine Meinung, kann man so hinnehmen. Aber zwei Fragen später gibt Interviewer Rainer Schweingel dem OB die Möglichkeit, seine Schwerpunkte zu benennen. Die Antwort – haltet euch fest – lautet:

Vorstellbar ist alles, zum Beispiel ein Museum, eine Kunsthalle, etc. Ideen und Wünsche gäbe es viele. Nur: In den nächsten 10 Jahren und vielleicht sogar noch länger werden wir als Stadt so etwas nicht finanzieren können. Ein Privatmann hingegen würde außer in ein neues Kaufhaus an der Stelle1 nicht investieren.

Bitte wie? Also zunächst: Für einen Oberbürgermeister gilt doch nicht der altbekannte Spruch „wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sondern man muss doch gerade in Anbetracht einer angespannten Haushaltssituation kreativ und visionär tätig werden. Und weiter: Ich wusste gar nicht, dass die Privatinitiative, das Kuratorium zum Wiederaufbau der Ulrichskirche, dort ein Kaufhaus bauen will…

Nach ein paar Fragen zur Finanzsituation war dann des Interviews erster Teil schon beendet. Mit Spannung erwartete ich den zweiten Teil nicht, denn ich hatte schon eine Ahnung, wie sich der Oberbürgermeister zum Thema Stadionbau2 äußern würde. Aber nun, wenn Teil 1 schon so klasse war, liest man natürlich auch Teil 2.

Schon die Überschrift des Artikels bestätigte mich in meiner Ahnung. „Heute würde ich mich nicht mehr an die Spitze des Stadionbaus stellen“, wurde der OB zitiert. Kurios, kurios, auf der Ulrichskirchendebatte fiel die Stadionentscheidung nicht in seine Amtszeit, jetzt hat sich Dr. Trümper an die Spitze des Stadionbaus gestellt. Soweit ich mich erinnere, war es sein Vorgänger Dr. Polte, der das Projekt zuerst angeregt und einen Grundsatzbeschluss im Stadtrat erwirkt hatte. Als dann das Projekt zunächst verschoben wurde und dann ganz zu verenden drohte, sammelten Fans des lokalen Fußballvereins 35.000 Unterstützerunterschriften – und die SPD hing im Wahlkampf Plakate mit dem Satz „Neues Stadion nur mit uns“ auf… Das konkrete Bauprojekt in der jetzigen Ausführung und Finanzierungskonzept fällt dann aber doch in Dr. Trümpers Amtszeit. Nunja, nach der Überschrift übersprang ich dann die minder interessanten Themen wie Kita-Gebühren, teurere Nahverkehrstickets und höhere Zoopreise und ging direkt in medias res. Siehe da, es findet sich die Standardfrage, wie man angesichts der steigenden Preise Geld ins Stadion pumpen könne.

Der Stadionbau ist eine Investition in die Zukunft, die nicht unbedingt kurzfristig greift. Die Euphorie im Jahr 2007 hat aber gezeigt, dass der Stadionbau richtig war, sofern auch der sportliche Erfolg stimmt.

Äh, wie jetzt? Warum würde er denn dann nicht nochmal…?
Der Grund, warum Dr. Trümper heute etwas nicht mehr tun würde, was er als richtig ansieht, liegt darin, dass „sich der Stadionbau nur mit dritter, besser noch zweiter Liga und auch nur mit Fußball rechnet.“ Die Stadt müsse 0,9 Millionen Euro pro Jahr für die Refinanzierung aufbringen und es könne nur über den Fußball Entlastung geben.
Das klingt jetzt ja so unbegründet gar nicht, mag man meinen. Komisch nur, dass in der Planungs- und Bauphase stets davon die Rede war, dass man selbstverständlich nicht daran denke, die Refinanzierung allein über den Fußball zu sichern, sondern auch andere Veranstaltungen, wie etwa Konzerte dazu zu nutzen. Entweder Dr. Trümper und seine Verwaltung haben damals Luftschlösser gebaut und geplant, oder aber die Vermarktung des Stadions in Bezug auf besagte Veranstaltungen ist schlicht amateurhaft. Ich tendiere persönlich zu einer Mischung aus beidem, schließlich kenne ich auch persönlich Menschen, die eine Veranstaltung im Stadion durchführen wollten,3 aber aufgrund von, sagen wir, Kontaktschwäche einen anderen Ort wählen mussten.

Insgesamt macht das Interview nicht den Eindruck, dass der Oberbürgermeister noch in der Lage ist, die Stadt voranzubringen. Insbesondere in Bezug auf Haushaltslage und Investitionen scheint eine gewisse Resignation eingetreten zu sein, die nur schädlich sein kann. Ist es generelle Amtsmüdigkeit oder ist es nur eine vorübergehende Jahresenderscheinung? Schwer zu sagen, aber auf die Art kann und darf es nicht weitergehen.


  1. Es geht übrigens um eine sinnvolle Bebauung am Ulrichsplatz. 

  2. Clever, wie die Volksstimme ist, gabs am Ende von Teil 1 den Ausblick auf Teil 2. Neben Stadionbau wurden noch Winterdienst, Kitas und Otto-Kampagne geteasert 

  3. Eine Hochzeit, übrigens 

Liebe Volksstimme

Es ist wirklich freundlich von euch, auf eurer Titelseite heute noch einmal, den WM-Modus zu erklären. „Wenn wir heute siegen, dann sind wir im Finale“ heißt es dort.
Ein Meisterwerk. Aber, liebe Volksstimme, warum erst jetzt? Schon zum Gruppenspiel gegen Australien hätte man mit dieser Maßnahme zur Volksbildung beginnen müssen, zum Beispiel „Wenn wir heute siegen, dann haben wir drei Punkte“. Vielleicht bieten sich auch grundsätzlichere Themen für diesen offenbar neuen Zeitungsbereich Volksbildung an – „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“, oder im Hinblick auf die Beschwerden über den WM-Ball „Der Ball ist rund“.

Aber natürlich lässt sich das auch in anderen Bereichen anwenden. „Wenn der Beitrag steigt, wird die Krankenversicherung teurer“ oder „Wenn Wulff gewählt wird, wird er Bundespräsident“ bieten sich im Bereich der Politik an. Im Bereich Wissenschaft bettelt „Wenn die Sonne untergeht, wird es Nacht“ geradezu um Aufmerksamkeit.

Für den Bereich Journalismus kann man ja immer noch „Wenn der Redakteur keine Lust hat, hat er keine Lust“ benutzen.

Ewigkeit und Genauigkeit

Die Volksstimme berichtet heute, dass sich nach den Olympischen Winterspielen von Vancouver natürlich auch der Ewige Medaillenspiegel verändert hat. Neue Rangordnung laut Volksstimme: 1. Deutschland, 2. UdSSR/Rußl.

Liebe Freunde bei der Volksstimme. Es ist richtig, dass Rußland laut IOC Nachfolger der UdSSR ist und so deren Erfolge „erbt“. Aber wäre es nicht möglicherweise sinnvoll, zu erwähnen, dass Deutschland aus den Erfolgen aller deutschen Mannschaften besteht? (Andere machen das entweder so (ARD) oder so (Bild). Eine ganz verrückte Variante gibt’s beim Spiegel)) Also der Gesamtdeutschen Olympiamannschaften, der DDR und der BRD, wie hier in der Wikipedia schön aufgeschlüsselt? Mal davon abgesehen, dass zu Rußland auch das Vereinte Team (EUN) von Albertville 1992 gehört, als die GUS gemeinsam antraten.

Zur generellen Sinnhaftigkeit einer Tabelle, die einerseits ein aktuelles Land die Erfolge zweier Länder erben lässt und andererseits einem aktuellen Land, das lediglich einen Teil seines Vorgängers umfasst, alle Erfolge des Vorgängers zuspricht, muss wohl jeder eigene Überlegungen anstellen. Aber eigentlich gilt bei Olympia ja angeblich Mittendrin, statt nur dabei Dabei sein ist alles, insofern sollte diese Tabelle ja auch untergeordnete Priorität besitzen.

Des Cynics Wörterbuch, Teil XII

Heute geht das Wörterbuch weiter mit einem Fachbegriff aus der englischen Sprache.
Weauxfing – Substantivierung. Weauxfing bezeichnet den Umstad, dass in jedem sportlichen Wettbewerb das Team, das am meisten von seinen Fans gehypt wird, unweigerlich eine Niederlage einstecken muss.

Gegenteil von Weauxfing ist das Anti-Weauxfing, das die Technik bezeichnet, die Chancen des eigenen Teams kleinzureden, in der Hoffnung, die Weauxfing-Götter zu beeinflussen. Diese Technik funktioniert jedoch nicht in jedem Fall.

Neben dem Weauxfing durch Fans scheint es allerdings auch einen Effekt beim Hypen durch Medien zu geben. Siehe die gefühlten 543 Artikel über Peyton Manning, den perfektesten Quarterback aller Zeiten, und die anschließende Niederlage durch Manning-Fehler im gestrigen Superbowl.

Weitere Informationen gibt es im The Oliver Woofing Theorem FAQ.

Der Hauptstadtvertrag

In der heutigen Volksstimme findet sich ein Bericht über ein Informationspapier der Stadt Magdeburg in der der Fortschritt in Sachen Hauptstadtvertrag mit dem Land Sachsen-Anhalt behandelt wird. Es gibt keinen Fortschritt, sagt die Drucksache. Außerdem enthält sie Betrachtungen zu Hauptstadtverträgen in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Letztlich endet das Papier mit der Feststellung, die Arbeitsgruppe Hauptstadtvertrag werde weiterhin bestehen bleiben.

Wieso die Autorin des Volksstimmebeitrags ihren Artikel mit der polemischen Bemerkung „Mag sein, sie zeitigt in weiteren zwei Jahren nicht mehr als ein weiteres inhaltsarmes Informationspapier.“ schließt, wird wohl nur sie selbst wissen. Jeder, der sich mit dem Land Sachsen-Anhalt und dem Verhältnis zwischen Landesregierung und Landeshauptstadt beschäftigt, wird ahnen, wieso es hier keine Fortschritte gibt. Die Stadt Magdeburg kann den Hauptstadtvertrag schließlich schlecht mit sich selbst abschließen – und eben da liegt der Hase im Pfeffer. Die Thematik Hauptstadtvertrag spielt augenscheinlich nur bei der Landtagsfraktion der Linken und allgemein auf Seiten Magdeburger Abgeordneter oder Magdeburger Kreisverbände der im Landtag vertretenen Parteien eine Rolle. Statt sich also mit einer Spitze zu verabschieden, hätte es dem Artikel gut getan, hier einmal die andere Seite der Medaille, also die Haltung des Landes zu beleuchten. Stattdessen kommt das Land Sachsen-Anhalt lediglich im ersten Absatz vor, als Teil einer Hypothese.

Die fehlkonstruierende Fehlkonstruktion

Der Spiegel von dieser Woche (Nr. 40/09) hat das Titelthema „Fehlkonstruktion Mensch – Warum wir für die moderne Welt nicht geschaffen sind“.

Dazu nur kurz zwei Dinge. Zunächst mal – wieso Fehlkonstruktion? Genauer gesagt, wieso Konstruktion? Das setzt einen Konstrukteur voraus, oder? Ich weiß, die Evolutionstheorie ist ja nur eine schöne neue Theorie und überhaupt gibt es ja hunderttausende von Gegenbeweisen, so dass es natürlich völlig legitim und ideologisch gar nicht aufgeladen ist, von der „Fehlkonstruktion“ zu sprechen.
Die andere Frage bezieht sich auf die Unterzeile „Warum wir für die moderne Welt nicht geschaffen sind“. Ist es wirklich so, dass der Mensch nicht für die moderne Welt geschaffen ist? Mag sein, der Spiegel beantwortet diese Frage wohl mit ja (wobei man angesichts äußerst verworrener Spiegelthemen ja vorsichtig sein muss), aber ist das denn die entscheidende Frage? Wäre es denn nicht viel sinnvoller zu fragen, warum wir Menschen uns eine moderne Welt geschaffen haben, die offensichtlich mit unseren psychisch-physiologischen Bedürfnissen nicht korreliert, sondern uns im Gegenteil vor schwere Probleme stellt? Hier wäre ein Ansatz gewesen für ein interessantes Titelthema, aber nö, der Spiegel betätigt sich ja lieber als Wiederkäuer der Wissenschaft.

Auswandern

Blickt man sich vor den Bundestagswahlen in der politischen Landschaft um, wird man über kurz oder lang von einer Depression befallen.
Da gibt es einen Innenminister, der immer mal wieder Ideen hat, wie man doch das Grundgesetz oder andere lustige demokratische Einrichtungen verändern könnte, um mehr Sicherheit zu erlangen. Da gibt es eine Familienministerin, die lieber Stoppschilder aufstellt, als tatsächlich etwas gegen Kinderpornographie im Netz zu tun. Da gibt es Polizisten in Berlin, die statt ihre Dienstnummer herauszurücken lieber denjenigen schlagen, der danach fragt.
Dann gibt es Parteien, die sich entschließen, ihr Programm nicht durchzugendern – und dafür von angeblich progressiven Kräften angegangen werden. Dann gibt es Vize-Vorsitzende von Parteien, die ein Interview geben und dafür von großen Teilen der so genannten Blogosphäre und der Medien (zumindest von den interessierten) Prügel beziehen, aber nicht für die Inhalte des Interviews, sondern für die Zeitung, der sie das Interview gegeben haben.

Quo vadis, politische Kultur?
Bleibt eigentlich nur auswandern. Am besten nach China – da weiß man, was man kriegt.