Schlagwort-Archiv: Political Correctness

Auswandern

Blickt man sich vor den Bundestagswahlen in der politischen Landschaft um, wird man über kurz oder lang von einer Depression befallen.
Da gibt es einen Innenminister, der immer mal wieder Ideen hat, wie man doch das Grundgesetz oder andere lustige demokratische Einrichtungen verändern könnte, um mehr Sicherheit zu erlangen. Da gibt es eine Familienministerin, die lieber Stoppschilder aufstellt, als tatsächlich etwas gegen Kinderpornographie im Netz zu tun. Da gibt es Polizisten in Berlin, die statt ihre Dienstnummer herauszurücken lieber denjenigen schlagen, der danach fragt.
Dann gibt es Parteien, die sich entschließen, ihr Programm nicht durchzugendern – und dafür von angeblich progressiven Kräften angegangen werden. Dann gibt es Vize-Vorsitzende von Parteien, die ein Interview geben und dafür von großen Teilen der so genannten Blogosphäre und der Medien (zumindest von den interessierten) Prügel beziehen, aber nicht für die Inhalte des Interviews, sondern für die Zeitung, der sie das Interview gegeben haben.

Quo vadis, politische Kultur?
Bleibt eigentlich nur auswandern. Am besten nach China – da weiß man, was man kriegt.

Andere Länder, andere Sitten

Dieser Allgemeinplatz trifft ja so ziemlich auf alles zu, und auch beim Fußball ist er nicht ohne Relevanz. Die Liebesbekundungen englischer Fußballfans sind oft von dem geprägt, was wir als typisch englischen Humor bezeichnen. Das kann aber den ein oder anderen deutschen Fußballer durchaus vor Probleme stellen.

Als Jürgen Klinsmann 1994 zu Tottenham Hotspur in die englische Premier League wechselte, wurde von den als sangesfreudig bekannten englischen Fans bald auch für Jürgen ein Lied gedichtet. Zur Melodie eines Mary-Poppins-Klassikers sangen sie „Chim chiminee, chim chiminee, chim chim churoo, Jürgen was a German, but now he’s a Jew!“1 Das ist natürlich keine Beleidigung, denn die Spurs haben in den 1970ern die antisemitischen Gesänge gegen sie einfach aufgenommen und sich seither selbst als „jews“ oder „yids“ bezeichnet. Dabei hat der Verein selbst keine explizit jüdischen Wurzeln, aber wie viele Londoner Clubs einen großen jüdischen Anteil an Fans.
Hier kann man also eigentlich beruhigt sagen, die Fans haben den Deutschen Klinsmann als ein vollwertiges Mitglied der Mannschaft akzeptiert und gut ist.

Wie aber soll man reagieren, wenn man Uwe Rösler heißt und bei Manchester City und Southampton gespielt hat? Rösler, von 1988 bis 1991 auch in Magdeburg unter Vertrag, wechselte ebenfalls 1994 nach England, zu Manchester City. Die City-Anhänger pflegen eine Rivalität mit dem ungleich erflogreicheren anderen Verein aus Manchester, Manchester United. Im 2. Weltkrieg wurde das Heimstadion von United durch deutsche Bomben stark beschädigt, so dass der Verein noch bis 1949 seine Heimspiele an der Maine Road austragen musste, dem Stadion von Manchester City. Diese Episode ist seither natürlich ein steter Quell des Spotts von Seiten der „Citizens“. Anscheinend war mit der Verpflichtung Röslers als einem deutschen Stürmer die Assoziation zu den deutschen Bombern so deutlich und klar, dass schon bald nach Röslers ersten Toren für City T-Shirts auftauchten mit einem Bomber mit deutschen Markierungen und der Kennung M.C.F.C. 1 — und der Aufschrift „Rösler’s grandad bombed Old Trafford“. Präzise, wie Engländer manchmal sind, wurde auch das Datum des Angriffs aufgedruckt.2 Aber nicht nur auf seiner City-Station wurden die (wohl fiktiven) Verdienste von Röslers Großvater derart gewürdigt: Zu seiner Zeit bei Southampton gab es auch einen Fangesang auf Röslers Vater:

Rosler’s dad’s a German,
he wears a German hat,
he dropped a bomb on Fratton,
and we love him just for that.

Fratton Park ist — wie sollte es anders sein — das Stadion des Erzrivalen Portsmouth.3

Wie soll man auf diese Art der Liebesbekundung reagieren?


  1. Siehe auch hier 

  2. Siehe auch die Facebook-Gruppe hier 

  3. Siehe auch hier bei Spiegel Online. 

Und darum ist PC blöd…

Eins meiner absoluten Lieblingsspiele ist auch 14 Jahre nach seinem Erscheinen Sid Meier’s Colonization. Das hat jetzt gerade eine Neuauflage erlebt, und im Zuge dessen hat ein Blogger beim amerikanischen Magazin Variety mal wieder gezeigt*, wozu Political Correctness führen kann, wenn man nicht weiß, wo man besser aufhört.

In essence sagt dieser Autor, dass weil Kolonisierung immer ein rassistischer und böser Vorgang war, alle Spiele, die dieses Konzept beinhalten, auch rassistisch und böse sind…nein, halt. Genau das tut er nicht: Er behauptet: Colonization ist rassistisch und böse. Andere Spiele sind offensichtlich nicht Thema der Debatte. Aber die Frage ist doch: Wenn Colonization, mit seiner abstrahierten Darstellung geschichtlicher Vorgänge schon böse ist, ist dann nicht auch Civilization böse? Die Antwort kann eigentlich nur „ja“ lauten. Folgt man dem Gedankengang weiter, so wird schnell klar, dass realistische Darstellungen, sowohl in Computerspielen als auch in Filmen u.ä. erst recht böse sein müssen.

In der Konsequenz kann man also kein historisches Ereignis als Vorlage für irgendeine Art Kunstwerk nehmen, nicht für Filme, nicht für PC-Games oder Bücher, denn letztlich wird man entweder etwas abstrahieren und dabei vereinfachen, einseitig darstellen oder am Ende gar noch Figuren auftreten lassen, die womöglich politisch nicht korrekte Ideologien oder Meinungen vertreten.

Hier also ist der Moment, in dem man sagen muss: Stopp. Politische Korrektheit nützt in der Darstellung historischer Zusammenhänge niemandem. (Inwieweit PC überhaupt nützlich ist, ist eine komplizierte Debatte, an der ich mich ungern beteiligen möchte.) Ein Computerspiel oder ein Film, die das Kolonialzeitalter behandeln, sind nicht grundsätzlich böse, genausowenig, wie alle 4X-Strategiespiele böse sind.

*Unbedingt auch die Kommentare lesen, in denen recht deutlich Stellung bezogen wird.