Nichts verstanden

Letzte Woche Mittwoch gab es die Präsentationspressekonferenz zum Editha-Sarg in Halle. Trotz der unmenschlich frühen Zeit1 war ich auch vor Ort.

Zunächst das Wichtige: Fachlich ist gegen die Öffnung des Sargs wohl kaum etwas zu sagen. Nun bin ich kein Experte für Bleikorrosion, aber nach Ansehen des Sargs und der Powerpoint-Präsentation (übrigens gab’s da auch ähnliche Probleme wie bei manchem Uni-Vortrag: Aussetzer des Beamers, keine Reaktion auf Mausklick) ist die Argumentation, man habe den Bleisarkophag zunächst sichern müssen, für mich nachvollziehbar und glaubhaft. Das gleiche träfe auf die Stoffe zu, in die die Knochen eingewickelt waren. Kommen wir also zum eigentlichen Problem.

Da wäre zuvörderst und womöglich am Schwerwiegendsten eine Vereinbarung zwischen der Domgemeinde als Nutzerin des Doms und gewissermaßen ideeller Eigentürmerin und der sachsen-anhaltischen Stiftung Dome und Schlösser als juristischer Eigentümerin. Die Vereinbarung besagte, nach Auskunft von Domprediger Quast, dass im Rahmen der archäologischen Grabungen im Magdeburger Dom, bei denen es hauptsächlich um die Lage des Vorgängerbaus geht, keine Grabstätten gestört werden. Nun ist es so, wie auch Landesarchäologe Meller bestätigte, dass man zum Zwecke der Lokalisierung des Vorgängerbaus den Kenotaph der Editha verrücken musste – der steht nämlich exakt über wichtigen Fundamentresten. So beschloss dann die Stiftung in Absprache mit dem Grabungsteameben die Zerlegung des Kenotaphs. Hier schon wurde die Domgemeinde nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen.

Aber nach ersten Sichtungen des Kenotaphs mittels Endoskopie wurde bald festgestellt, dass der Kenotaph eben nicht leer war. So wurde letztlich nicht nur der Kenotaph geöffnet, sondern auch der Bleisarg entdeckt. Das Problem war nun, dass der Bleisarg bewegt werden musste, er allerdings derart korrodiert war, dass er nicht beschädigungsfrei transportiert werden konnte. Um ihn zu sichern, und insbesondere um den Deckel mit der überaus wertvollen Inschrift zu erhalten, musste der Sarg geöffnet werden. Dennoch hat man auch an dieser Stelle wieder auf die Information der Domgemeinde verzichtet. Nach der Sicherung war der Sarg dann anscheinend stabil genug, um ihn nach Halle transportieren zu können. Hier also wurde der erste schwerwiegende Fehler begangen – entgegen einer Absprache wurde ein Grab geöffnet. Die Feststellung, man habe ja gar nicht wissen können, dass es ein Grab ist, greift hier zu kurz, denn man hat auch nach der Erlangung dieses Wissens nicht das Gespräch mit der Domgemeinde gesucht.

Gehen wir also in der Chronologie weiter. Der Sarg ist in Halle und wird dort in der Radiologie der Uni-Klinik per MRT gescannt. Die Uni-Klinik ist ein langjähriger Partner des Landesamts für Archäologie und Denkmalpflege und so verwundert es nicht, dass ihre Dienste hier in Anspruch genommen werden. Allerdings kann das Vorhandensein der Radiologie nicht der Grund des Transports nach Halle sein. Denn warum sonst sollte man sich genötigt sehen, darauf hinzuweisen, dass man auch versucht habe mit einem Kollegen der Radiologie in Magdeburg Kontakt aufzunehmen, der sei aber nicht erreichbar gewesen?

Nun ist also der Sarg in Halle und die Radiologie hat ergeben, dass sich darin Knochen befinden: „mehrere Langknochen und ein Kieferbogen“, so Meller auf der Pressekonferenz. Der nächste Schritt wäre jetzt die Analyse der Knochen – diese ist allerdings nicht in Halle vorzunehmen, sondern dazu sollen laut Bericht der Magdeburger Volksstimme Knochen nach Mainz, Kiel und der Kieferbogen nach Bristol verschickt werden. Man hat also den Fund nach Halle gebracht, weil man die Stoffe sichern musste, eine Aufgabe, die zu den schwierigsten in der Archäologie gehört. Nur: Begonnen hat man damit noch nicht. Die Knochen sind nach wie vor in die Stoffen eingehüllt, die mindestens aus dem 16. Jahrhundert stammen, möglicherweise sind aber noch ältere Stoffe vorhanden.

Nun fand man den Bleisarg Mitte November und transportierte ihn an einem Sonnabend, zwar nicht bei Nacht und Nebel, aber wohl doch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Dom ab und brachte ihn nach Halle. Zu diesem Zeitpunkt waren das Landesamt, die Stiftung Dome und Schlösser, die Domgemeinde – wohl nur aufgrund der eher zufälligen Anwesenheit des Dompredigers bei der Sargöffnung – und das Kultusministerium in Form des Kultusministers informiert. Nicht informiert war die Stadt Magdeburg. Nun ist die Stadt Magdeburg ja auch nicht weiter wichtig, könnte man meinen. Gut, der Dom steht da, aber das ist doch nur Zufall. Allerdings verrät ein Blick auf die Seite der „Archäologischen Grabungen im Dom zu Magdeburg“ eine Auflistung der Partner des Projekts. Und siehe da, dort findet sich auch die Stadt Magdeburg wieder. Allerdings wird sich wohl kaum ein Vertreter der Stadt mit Pinsel, Kelle und Zeichenblock in den Dom hocken und dort persönlich ausgraben, und so verwundert es auch nicht, dass sich die Partnerschaft dann doch eher im Bereich Finanzierung ansiedeln lässt.
Hatte ich erwähnt, dass die Domgemeinde zu Stillschweigen verpflichtet wurde?

Zusammengefasst waren also über den Fund nicht informiert: die Stadt Magdeburg als Partner des Projekts, die evangelische Kirche in Person des Bischofs, die katholische Kirche in Form des Bischofs. Der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg wurde schließlich im Jahr 2009 informiert, mit einem Brief, der einen „Postausgangsstempel vom 20.“ Januar trägt. Damit hat der Oberbürgermeister die Information also am selben Tag erhalten wie die Presse – denn die Pressemitteilung mit der Einladung zur Pressekonferenz trägt das Datum 21. Januar.

Kurze Zusammenfassung: Im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie wird der Sarg mit den mutmaßlichen Überresten Edithas nach Halle überführt, um Untersuchungen durchzuführen. Eine provisorische Sicherung des Sargs erfolgt in situ im Magdeburger Dom, in Halle wird eine Untersuchung mittels MRT durchgeführt, die auch in Magdeburg möglich gewesen wäre. Eine Altersbestimmung der Knochen soll in Kiel, Mainz und Bristol erfolgen. Die Knochen befinden sich immer noch in ihrer Stoffumhüllung aus dem 16. Jahrhundert. Warum also ist der Sarg nach Halle gebracht worden?

Auf der Pressekonferenz verglich Landesarchäologe Meller das Vorgehen mit dem Eintreffen eines Sanitäters am Unfallort. Hier müsse man auch zunächst den Patienten stabilisieren, um ihn zu retten. Der Vergleich hinkt allerdings. Bleibt man beim Rettungssanitäter, dann haben Meller und seine Kollegen den Patienten stabilisiert, ihn dann über Dutzende Kilometer transportiert und über Wochen seinen Angehörigen weder erzählt, dass es einen Unfall gab, noch wo der Patient sich aufhält.

Mittlerweile gibt es eine Zusage des Kultusministers (der sich übrigens nach eigener Aussage nicht hat vorstellen können, dass man einen der Partner nicht informiert hat und deswegen gar nicht auf den Gedanken gekommen ist, hier nachzuhaken), dass Editha wieder nach Magdeburg zurückkehrt, denn sie gehöre einfach dorthin. Recht hat der Mann. Ob aber der gesamte Fund nach Magdeburg zurückkehrt, bleibt offen. In der Braunschweiger Zeitung vom Donnerstag letzter Woche findet sich folgendes Meller-Zitat auf die Frage, ob er ausschließen könne, dass Teile des Fundes in Halle bleiben: „Weiß ich den schon, ob da nicht was drunter ist, das nur tiefgefrostet zu erhalten ist?“ Da besteht offensichtlich noch Gesprächsbedarf zwischen dem Minister und seinem Amtsleiter.

Insgesamt war auf der Pressekonferenz das Unverständnis Mellers über die Entrüstung zu spüren und auch der Vorwurf, die Medien hätten vom eigentlichen wissenschaftlichen Wert des Fundes gezielt abgelenkt. Auch Minister Olbertz warb darum, sich doch mehr um die Bedeutung des Fundes zu kümmern, als um die Umstände seiner Entdeckung. Verursacht hat diese negative Berichterstattung jedoch nicht eine böswillige Medienlandschaft, sondern ein ungenügendes Gespür für Empfindlichkeiten auf Seiten des Landesamts. Eine Entschuldigung Mellers übrigens, die die Mitteldeutsche Zeitung vernommen haben will, habe ich nicht gehört – trotz aufmerksamen Zuhörens. Wohl gehört habe ich, dass Meller nicht mit derartigen Reaktionen gerechnet hat. Aber das ist verständlich, schließlich ist der Mann ja erst seit 7 Jahren im Amt, da kann man noch nicht mitbekommen haben, dass es gewisse Reibungspunkte zwischen den beiden großen Städten gibt.

Man darf jedenfalls gespannt sein, wie sich diese Geschichte weiter entwickelt und ob und wie der Fund letztlich nach Magdeburg zurück gelangt. Fürs erste ist aber nach drei Teilen Schluss mit Editha-Blogging.


  1. schon um 10 Uhr, entsprechend früh musste man aufstehen… 

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